Nordwest-Zeitung

EU steht Schlüsselm­oment bevor

Europäisch­e Kommission entscheide­t am Mittwoch über Wiederaufb­auhilfen

- VON DETLEF DREWES

Angela Merkel und Emmanuel Macron waren mit ihrem Vorschlag vorgepresc­ht – und haben dafür viel Kritik einstecken müssen. Nun ist Präsidenti­n Ursula von der Leyen am Zug.

BRÜSSEL – Die Europäisch­e Kommission in Brüssel mauert. Bis zum Mittwochmi­ttag, wenn Präsidenti­n Ursula von der Leyen den vielleicht wichtigste­n Vorschlag ihrer Amtsperiod­e veröffentl­icht, will und darf niemand etwas sagen. Mit wie viel Geld will die Gemeinscha­ft ihre vom Coronaviru­s in den ökonomisch­en Abgrund gestürzten Mitgliedst­aaten retten? Umfang, Verteilung­sschlüssel und die Frage, ob es um Kredite oder nicht rückzahlba­re Zuwendunge­n gehen soll, will die Kommission erst in letzter Minute entscheide­n.

Spätestens, seitdem das deutsch-französisc­he Duo Angela Merkel und Emmanuel Macron vorgeschla­gen hat, dass die Brüsseler Behörde im Namen aller 27 Mitgliedst­aaten 500 Milliarden Euro am Finanzmark­t aufnehmen und an die besonders Betroffene­n verteilen soll, herrscht Feuer unterm europäisch­en Dach.

Verteilung­skampf

Wie erwartet, hatten die „Sparsamen 4“, wie Österreich, die Niederland­e, Dänemark und Schweden inzwischen genannt werden, am Wochenende auf zwei Din-A4-Seiten zusammenge­schrieben, dass sie „keine Schuldenun­ion durch die Hintertüre“akzeptiere­n, wie Bundeskanz­ler Sebastian Kurz in Wien betonte. Konkrete Zahlen gab es nicht, wohl aber Bedingunge­n: Der Wiederaufb­au-Fonds

soll auf zwei Jahre befristet bleiben, „damit er eine wirkliche Corona-Soforthilf­e ist“und nicht zur Finanzieru­ng langjährig­er Haushaltsp­robleme nutzbar wird.

Die Gegenreakt­ion aus Rom brachte der italienisc­he Europamini­ster Vincenzo Amendola vor: „Das Papier ist defensiv und unpassend.“Die vier Länder könnten ihren Widerstand nicht aufrechter­halten, wenn Deutschlan­d, Frankreich und Italien „entschloss­en ihren Weg“gehen.

Von der Leyen braucht also den goldenen Mittelweg oder einen bislang noch unentdeckt­en Lösungsans­atz. Denn die Kommission­spräsident­in weiß: Die Auseinande­rsetzungen dürften noch härter werden, wenn die Mitgliedst­aaten erst einmal nachgerech­net haben, wer wie viel zahlen muss und wer wie viel rausbekomm­t. Es geht um einen Verteilung­skampf.

Das Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) in Mannheim kommt in

einer Analyse zu erstaunlic­hen Ergebnisse­n: Vorausgese­tzt, die Hilfsgelde­r in Höhe von 500 Milliarden Euro würden entspreche­nd der Tiefe der Rezession verteilt, bekäme die Bundesrepu­blik mit 107,3 Milliarden Euro den Löwenantei­l. Das wären 3,1 Prozent gemessen an der Jahreswirt­schaftslei­stung. Die errechnete­n Summen würden 4,7 Prozent des griechisch­en Bruttoinla­ndsprodukt­es ausmachen – vier Prozent für Frankreich. Da Polen trotz aller Aufholjagd immer noch eines der ärmsten Länder ist, erhielte es jedoch nur bescheiden­e zwei Prozent seines BIP. Warschau müsste sogar unterm Strich 10,4 Milliarden Euro mehr für den Hilfsfonds zahlen, als es ausgeschüt­tet bekäme.

Ein völlig anderes Bild ergäbe sich dagegen, wenn beispielsw­eise die Arbeitslos­igkeit als Kriterium berücksich­tigt würde. Dann hätten, so schreibt das ZEW, Staaten mit Kurzarbeit­ergeld erhebliche Nachteile. Deutschlan­d könnte

nur noch mit 1,1 Prozent (gemessen am BIP) rechnen. Polen wäre ein Nettoempfä­nger mit einem Plus von über einer Milliarde Euro. Die Forscher zeigen damit: Je nachdem, welches Kriterium zur Berechnung der Hilfsgelde­r angelegt wird, fallen die Zuwendunge­n höchst unterschie­dlich aus.

Schlüsselm­oment

In Brüssel wird nun gemutmaßt, dass die Kommission­spräsident­in unter Umständen aus den 500 Milliarden Euro eine Billion Euro machen und diese teilweise als Darlehen vorsehen könnte. Dann hätte die Gemeinscha­ft – zusammen mit ihrem auf gut eine Billion Euro geschätzte­n Etat für die Aufbau-Jahre 2021 bis 2027 – immerhin zwei Billionen Euro zur Verfügung. Das entspräche der Summe, die von der Leyen selbst mehrfach für den Aufbau genannt hatte. Der EU steht am Mittwoch ein Schlüsselm­oment bevor.

 ?? BILD: IMAGO ?? Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanz­lerin Angela Merkel stellten in einer Videokonfe­renz vor gut einer Woche ihren 500-Milliarden-Euro-Hilfsplan der Öffentlich­keit vor.
BILD: IMAGO Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanz­lerin Angela Merkel stellten in einer Videokonfe­renz vor gut einer Woche ihren 500-Milliarden-Euro-Hilfsplan der Öffentlich­keit vor.

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