Ein gewaltiger Aderlass
Der Ökonom Bernd Raffelhüschen über die Kirchensteuer-Einnahmen
Professor Raffelhüschen, Experten erwarten einen gewaltigen Einbruch der Steuereinnahmen durch die Corona-Krise. Für 2020 ist von rund 100 Milliarden Euro und minus 13 Prozent die Rede. Was bedeutet das für die Kirchen? Raffelhüschen: Prinzipiell folgt die Kirchensteuer als Steuer auf die Lohn- und Einkommenssteuer der allgemeinen Entwicklung. Allerdings gibt es ein paar Vorbehalte. Denn der Steuerschätzkreis hat wohl die optimistischste aller Varianten gewählt, den Vförmigen Verlauf der Konjunktur, und ist dabei auf diese Zahlen gekommen...
V-förmig heißt, es geht wie beim entsprechenden Buchstaben steil bergab und dann genauso steil wieder nach oben? Raffelhüschen: Exakt. Demnach würde auf den aktuellen Einbruch schon bald ein direkter Wiederaufschwung folgen. Das halte ich für optimistisch, denn mir scheint noch sehr ungewiss, ob wir nicht eine längere Phase des Einbruchs haben vor der Erholung – eher U als V – oder ob wir nicht vielleicht sogar länger am Boden liegen, bevor wir uns berappeln. Deshalb denke ich, auch bei der Kirchensteuer kommen wir wahrscheinlich nicht hin mit diesen 13 Prozent
Rückgang.
Welche Zahl sehen Sie stattdessen? Raffelhüschen: Ich bin kein Spökenkieker, ich kann nicht die Zukunft voraussehen. Aber wenn wir einen eher U-förmigen Verlauf der konjunkturellen Anpassung unterstellen und nicht das spitze V, sind wir wohl bei etwa 15 oder 16 Prozent. Und wenn wir länger am Boden liegen, eher bei 20 Prozent Ausfall. Darauf sollten wir uns einstellen.
In Ihrer Studie von 2019, in der Sie auf eine Halbierung von Mitgliederzahl und Steueraufkommen bis 2060 gekommen sind, schauen Sie nicht nur auf die Konjunktur... Raffelhüschen: Wir haben drei Faktoren: Das eine ist die Demografie. Daran können wir nichts mehr drehen. Dann den Konjunkturverlauf, insbesondere die Lohn- und Einkommensentwicklung, worauf die
Kirche auch keinen Einfluss hat. Was uns wirklich umtreiben muss, sind die Austrittswahrscheinlichkeiten und die Taufwahrscheinlichkeiten. Wenn immer mehr Menschen austreten und wir es nicht mal schaffen, dass alle Kirchenmitglieder ihre Kinder taufen lassen, haben wir ein echtes Problem.
Noch mal konkreter zu den Auswirkungen der Corona-Krise: Wie kann die genau auf die Kirchensteuer-Einnahmen wirken? Raffelhüschen: Hier muss man genau hinsehen. Der Effekt durch Kurzarbeit ist wahrscheinlich weniger entscheidend, denn die betrifft überwiegend Menschen mit eher geringerem Einkommen, die für das Gesamtaufkommen der Kirchensteuer nicht ganz so ausschlaggebend sind. Man muss eins hier im Blick behalten: 50 Prozent aller Mitglieder zahlen gar nichts – und die obersten fünf Prozent in der Einkommensstatistik der Kirchenmitglieder zahlen mehr als 50 Prozent der Kirchensteuer. Darunter sind sehr viele Selbstständige. Da kommt es jetzt darauf an, wie stark diese Leute von der Krise getroffen werden.
Können die Kirchen die Ausfälle kompensieren? Raffelhüschen: Wir müssen uns eins klar machen: Beim Kirchensteueraufkommen haben wir insgesamt gesehen – aber natürlich mit großen Unterschieden zwischen einzelnen Bistümern und Landeskirchen – Ressourcen, die wir für den kurzfristigen Einbruch verwenden können. Es gibt Rücklagen, die einen V-förmigen Verlauf der Steuerausfälle relativ gut glätten können.
Und wenn das mit dem V zu optimistisch ist? Raffelhüschen: Dann haben die Kirchen ein echtes Problem. Aber dann haben wir als Gesellschaft noch ein viel viel größeres Problem. Denn wir können nicht auf Wachstum verzichten. Sonst können wir auch keine Beatmungsgeräte mehr bauen, keine Impfstoffe entwickeln und haben auch sonst weniger Chancen, Menschen zu retten.
Was können die Kirchen dagegen tun? Raffelhüschen:
Nichts.