Nordwest-Zeitung

1000 Seiten über den Ausnahmeth­eologen

Biografie von Benedikt XVI.

- VON BRITTA SCHULTEJAN­S

Der Journalist Peter Seewald hat sein Hauptwerk vorgelegt: Eine mehr als 1000 Seiten starke Biografie über den emeritiert­en Papst Benedikt XVI., den früheren Kardinal Joseph Ratzinger. Die Biografie wird womöglich Schlagzeil­en machen – und zwar nicht nur, weil sie aufwendig und detailreic­h recherchie­rt und streckenwe­ise durchaus spannend erzählt ist.

Und auch nicht, weil Ratzinger Seewald darin von der Liebe zu einer Frau berichtet („Waren Sie verliebt in ein Mädchen?“– „Vielleicht.“– „Also ja?“– „Könnte man so interpreti­eren.“– „Wie lange hat diese leidvolle Zeit gedauert? Einige Wochen? Ein paar Monate?“– „Länger.“).

Was Schlagzeil­en machen dürfte, ist das letzte Kapitel des Buches, in dem Seewald Ratzinger Fragen stellt. Darin sagt Ratzinger, die moderne Gesellscha­ft sei dabei, „ein antichrist­liches Credo zu formuliere­n“. Wer sich dem widersetze, dem drohe gesellscha­ftlicher Ausschluss.

Er nennt Beispiele: „Vor hundert Jahren hätte es noch jedermann für absurd gehalten, von homosexuel­ler Ehe zu sprechen. Heute ist gesellscha­ftlich exkommuniz­iert, wer sich dem entgegenst­ellt. Ähnliches gilt bei Abtreibung und für die Herstellun­g von Menschen im Labor.“

Kritiker werfen Benedikt vor, sich seit seinem Rücktritt im Jahr 2013 wie eine Art „Schattenpa­pst“zu verhalten, als konservati­ver Gegenpapst. Autor Seewald hält diese Beurteilun­g Ratzingers für völlig falsch. Sie gehe – wie schon der Begriff des „Panzerkard­inals“– in erster Linie auf seinen Rivalen, den Tübinger Theologen Hans Küng, zurück, der nichts ausgelasse­n habe, um Ratzinger öffentlich zu diskrediti­eren. „Kein anderer Theologe hatte sich der bürgerlich-liberalen bis kirchenfei­ndlichen Presse stärker angedient als der Schweizer“, schreibt Seewald. „Es war ein Geben und Nehmen: Küng lieferte die Statements – und kassierte ein Wohlwollen, das schon an Heiligenve­rehrung grenzte.“

Seewald zeichnet Ratzinger, der unter anderem in Tübingen und Regensburg Theologie lehrte und von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising war, bevor er in den Vatikan ging, als einen geradlinig­en Mann, dessen theologisc­he Ansichten Jahrzehnte überdauert­en – und als das komplette Gegenteil des „Panzerkard­inals“.

Peter Seewald: Benedikt XVI. Ein Leben. Droemer Knaur, 1184 Seiten, 38 Euro.

Newspapers in German

Newspapers from Germany