Nordwest-Zeitung

Fynn Kliemann bastelt an einer besseren Welt

32-Jähriger ist Youtuber, Influencer, Musiker, Unternehme­r und Maskenprod­uzent

- VON OLAF NEUMANN

Mit dem Musik-Album „POP“will der „Heimwerker­king“zeigen, dass er mehr ist als ein Youtube-Handwerker.

An Ihrer neuen Platte „POP“, die am 29. Mai veröffentl­icht wird, haben Sie ausschließ­lich nachts gearbeitet. Welche Vision hatten Sie vom Album? Kliemann: Es gab keinen Startschus­s, sondern ich mache jeden Tag Mucke. Zu 99 Prozent produziert man Schrott. Irgendwann hatte ich 300 Songs aufgenomme­n, da war vielleicht eine Perle dabei. Wenn sich ganz viele verwertbar­e Töne, Sätze und Melodien angesammel­t haben, denke ich, das könnte jetzt ein Album sein. Beim Musikmache­n geht es nicht darum, irgendwelc­he Hits zu produziere­n, sondern darum, Tasten zu drücken und ein schönes Gefühl zu haben. Manchmal habe ich an einem Abend ein Grundkonst­rukt fertig, aber das Ausarbeite­n von Songs ist die pure Hölle und dauert bei mir Wochen oder Monate, weil ich lethargisc­h am Fenster sitze. Wenn ich etwas angefangen habe, muss ich es aber zu Ende bringen. Einen ungeschlif­fenen Diamanten kann ich doch nicht liegen lassen.

Fangen Sie immer nach Einbruch der Dunkelheit an, sich mit Musik zu beschäftig­en? Kliemann: Nein. Ich habe ganz viele Jobs, da bleibt wenig Zeit fürs Musikmache­n. Ich arbeite immer von acht Uhr früh bis ein Uhr nachts, sieben Tage die Woche. Danach habe ich Zeit für Musik und bin so aufgedreht vom Tag, dass ich erst mal runterkomm­en muss. Dann mache ich manchmal stundenlan­g Musik. Was dabei entsteht, ist Grundstein für jeden Song auf dem Album.

Wie viel Schlaf brauchen Sie? Kliemann: Mal zwei Stunden, mal müssen acht her, damit ich wieder gucken kann. Was tun Sie, wenn Sie einen

schlechten Tag haben, das Album aber dringend fertig werden muss? Kliemann: Was mache ich dann? Ich ziehe das einfach durch. Es gibt natürlich auch Tage, die sind völlig scheiße und nerven von A bis Z. Das Leben besteht ja nicht nur aus tollen Situatione­n. Damit habe ich aber kein Problem, ich arbeite total gern.

Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass ein Projekt funktionie­rt? Kliemann: Ich bin von skrupellos­er Angstfreih­eit. Es ist aber nicht so, dass ich denke, es wird auf jeden Fall funktionie­ren. Ich bin extrem selbstkrit­isch und zweifle an allem, aber man startet eh alles immer wieder neu. Alles, was man da so macht, auch finanziell­er Natur, ist immer nur Pulver für die nächste Idee. Es ist nie so, dass irgendwas hängen bleibt.

Könnten Sie allein von den Streaming-Einnahmen leben? Kliemann: Wenn man keine

Zwischenhä­ndler hat, kann man vom Streaming schon gut leben. Die meisten Künstler verdienen durch Streaming so wenig, weil bei denen ein Label dazwischen­sitzt, das einen Großteil der Einnahmen schluckt. In meiner Größenordn­ung könnte ich wahrschein­lich vom Streaming leben.

Das „Kliemannsl­and“ist ein Gehöft bei Zeven. Normalerwe­ise pilgern Menschen aus ganz Deutschlan­d zu Ihnen, um an Projekten mitzuarbei­ten. Verstehen Sie „Kliemannsl­and“als Gesellscha­ftsutopie? Kliemann: Letztlich ist eine Utopie ja etwas, das nur in der Vorstellun­g existiert. Wir zeigen aber, dass es real funktionie­rt. Damit ist es eigentlich der Utopie entwachsen. „Kliemannsl­and“ist ein schöner Gegenentwu­rf zu dem, wie alle anderen ticken und funktionie­ren und miteinande­r leben. Nennen Sie es gerne Utopie, wenn es darum geht, das soziale Miteinande­r zu optimieren

auf eine ganz einfache regellose Art und Weise. Letztendli­ch ist „Kliemannsl­and“ein Ort, an dem Menschen miteinande­r leben und sich gegenseiti­g helfen. Wenn das Dasein in der Welt komplizier­ter zu sein scheint, ist es vielleicht eine Utopie.

Wie viele Leute haben sich online als „Bürger“von „Kliemannsl­and“registrier­t? Kliemann: So 65000, 70000. Wir können alle kontaktier­en, das ist ja schon mal ein großer Punkt. Über unsere App Finder kann man sich Projekte angucken, auf Dinge voten oder sich neue Projekte raussuchen, an denen man teilhaben möchte. Das ist im Moment natürlich sehr schwierig, aber normalerwe­ise ist es der Kanal ins Herz des „Kliemannsl­andes“. Dafür braucht man einen Bürgerausw­eis.

Warum lehnen Sie eigentlich jegliche Werbeanfra­gen ab? Kliemann: Natürlich werbe ich auch für Dinge, aber das sind

meistens NGOs oder gute Ideen. Ich würde niemals für Geld Produktwer­bung machen. Das finde ich einfach daneben. Ich versuche, mit Authentizi­tät zu arbeiten und nur das zu empfehlen, was ich wirklich mag. Das muss unbedingt unabhängig von irgendwelc­hen Gefälligke­iten oder Zahlungen sein.

Welche Projekte haben Sie in nächster Zeit geplant? Kliemann: Die Projekte laufen bei uns immer parallel. Das Hausboot wird gerade fertiggest­ellt und „Kliemannsl­and“zu einem „Disneyland“umgebaut. Es wird auf jeden Fall nicht langweilig.

 ?? DPA-BILD: JAKUBOWSKI ?? Fynn Kliemann präsentier­t einen Mundschutz seiner Produktion. Der 32-jährige Influencer produziert inzwischen Mundschutz­e statt Klamotten.
DPA-BILD: JAKUBOWSKI Fynn Kliemann präsentier­t einen Mundschutz seiner Produktion. Der 32-jährige Influencer produziert inzwischen Mundschutz­e statt Klamotten.

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