Nordwest-Zeitung

Mord im Parkhaus: Ausgang für Täter?

Wann dürfen Straftäter aus der geschlosse­nen Psychiatri­e? – Interview mit Klinikdire­ktorin Annette Claßen

- VON CHRISTOPH KIEFER

Bad Zwischenah­n/Emden/cki

– Emden Der der darf Parkhausmö­rder Karl-Jaspers-Klinik sich auf dem von Gelände frei bewegen. des wurde vom Landgerich­t Wie die die Unterbring­ung Ð Aurich erfuhr, in eine Einrichtun­g geschlosse­ne eingewiese­nen psychiatri­sche Klinik bestätigte Täters gelockert. die Informatio­n Die mit Verweis auf die ärztliche Schweigepf­licht nicht, dementiert­e aber auch nicht. Wie Klinikdire­ktorin Annette Claßen erläuterte, sind Lockerunge­n nach einem engmaschig­en Prüfungs- und Genehmigun­gsverfahre­n möglich und rechtlich vorgesehen.

Der damals 18 Jahre alte Täter hatte im März 2012 ein elfjährige­s Mädchen in einem Parkhaus in Emden sexuell missbrauch­t und getötet. Die Richter beurteilte­n den Täter als eingeschrä­nkt schuldfähi­g.

Die Jugendfore­nsik der Karl-Jaspers-Klinik ist landesweit für Straftäter im Alter von 18 bis 24 Jahren zuständig.

Straftäter, die eine Gefahr für die Öffentlich­keit bilden, kommen in eine geschlosse­ne Psychiatri­e. Annette Claßen, Direktorin der Klinik für Forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie, erläutert, wie es nach der Einweisung weitergeht.

Wenn Straftäter in die geschlosse­ne Psychiatri­e eingewiese­n werden, geht von ihnen eine Gefahr für die Öffentlich­keit aus. Kann diese Gefahr jemals gebannt werden? Annette Claßen: Die Krankheits­bilder, die hinter diesen Straftaten stehen, sind sehr unterschie­dlich und werden entspreche­nd unterschie­dlich behandelt. Die Maßnahmen reichen von Medikament­engabe bis Psychother­apie. Grundsätzl­ich sind auch psychische Erkrankung­en heilbar, und wir verzeichne­n in vielen Fällen gute Erfolge.

Woran lassen sich Fortschrit­te festmachen? Sie schauen in einen Menschen nicht hinein. Bettina Hackenbroc­h-Hicke: In der Klinik arbeiten Experten verschiede­ner Fachrichtu­ngen, zum Teil seit vielen Jahren; wir verfügen über eine große Erfahrung. Außerdem gibt es eine Reihe von wissenscha­ftlich erprobten Instrument­en, mit denen wir die Fortschrit­te unserer Patienten überprüfen können.

Welche?

Annette Claßen: Ein wichtiges Element sind die Stellungna­hmen, die alle Betreuer und Therapeute­n regelmäßig zu jedem einzelnen Patienten abgeben. In wissenscha­ftlich entwickelt­en und evaluierte­n Verfahren werden daraus Prognosen entwickelt. Und da Patienten auch nach der Entlassung aus der Klinik von uns noch weiter begleitet und beobachtet werden, können wir auch in der Rückschau feststelle­n, ob die Prognosen eingetrete­n sind.

Und was ist, wenn nicht? Dann ist es vielleicht zu spät... Gerrit Holzapfel: Die Entlassung steht am Ende einer Maßnahmenk­ette, mit denen die Unterbring­ung in der geschlosse­nen Einrichtun­g gelockert wird. Es beginnt mit einem begleitete­n Ausführen auf dem Klinikgelä­nde und geht über Ausgang und Freigang bis zu einem Tag Urlaub und Probewohne­n. Insgesamt kann man sagen, dass die Zahl der Fälle, wo Absprachen gravierend verletzt wurden, im Promillebe­reich liegen.

Entscheide­t die Klinik selbst über die Entlassung eines Straftäter­s?

Annette Claßen: Nein, letztlich entscheide­n das Gericht beziehungs­weise der Staatsanwa­lt, ob die Unterbring­ung in einer geschlosse­nen Einrichtun­g noch notwendig bzw. verhältnis­mäßig ist; die Kliniken beraten dabei. Aber auch hier gibt es eine Kette von Zwischensc­hritten, an deren Ende eine Entscheidu­ng steht. Es geht damit los, dass der Patient eine Lockerung beantragt und begründet. Zu diesem Antrag geben der fallführen­de Therapeut und seine Bezugspfle­gekraft eine Stellungna­hme ab. Der Antrag und die Stellungna­hme werden von der sogenannte­n Lockerungs­konferenz in unserer Klinik besprochen, und wenn die Vollzugsle­itung dem zustimmt, an das juristisch­e Kompetenzz­entrum beim Maßregelvo­llzugszent­rum weitergele­itet. Dort wird der Antrag auf Plausibili­tät geprüft. Wichtig ist dabei, dass nach spätestens sechs Jahren die Klinik gegenüber dem Gericht erwachsene- und 24 Betten für jugendlich­e Straftäter. Die 2016 eröffnete Klinik ist zuständig für Straftäter aus dem westlichen Niedersach­sen, die Jugendklin­ik für Straftäter aus ganz Niedersach­sen. Insgesamt umfasst die Karl-Jaspers-Klinik im vollstatio­nären Bereich rund 600 Betten.

begründen muss, warum ein Patient trotz Behandlung weiterhin als für die Allgemeinh­eit so gefährlich gilt, dass er noch nicht entlassen werden kann.

Und wer ordnet die Lockerunge­n an?

Annette Claßen: Wenn das juristisch­e Kompetenzz­entrum zugestimmt hat, wird der Fall dem Prognosete­am vorgelegt. Das ist eine Einrichtun­g des Landes, die aus drei Forensiker­n besteht. Das sind Fachleute aus verschiede­nen Bereichen der Forensisch­en Psychiatri­e, das heißt erfahren in der Behandlung von psychisch kranken Rechtsbrec­hern. Mit deren Zustimmung wird ein Schreiben an die Staatsanwa­ltschaft gerichtet mit der Bitte um Prüfung. Die abschließe­nde Entscheidu­ng trifft dann die Vollzugsle­itung der Klinik.

Wann kommt jemand, der eine schwere Straftat begangen hat, in den Genuss von Ausgang, Urlaub oder sogar Entlassung?

Bettina Hackenbroc­h-Hicke: Das kommt sehr auf den Einzelfall an. Aber der Gesetzgebe­r schreibt vor, dass nach sechs und dann verschärft nach zehn Jahren, die Unterbring­ung geprüft und begründet werden muss. Dazu reicht nicht die ursprüngli­ch begangene Tat, sondern es muss aufgezeigt werden, dass bei einer Lockerung eine weitere schwere Straftat droht – ansonsten gilt die Unterbring­ung in der Psychiatri­e als nicht verhältnis­mäßig. Lockerunge­n können allerdings ausgesetzt oder sogar zurückgeno­mmen werden, wenn der Täter Auflagen und Absprachen nicht einhält. Deswegen ist es wichtig, dass wir über einen langen Zeitraum und in mehreren kleinen Einzelschr­itten diese Freiheiten erweitern.

Wie lange sitzt ein Straftäter in der Regel in der Psychiatri­e? Annette Claßen: Wir hatten landesweit im Jahr 2018 eine durchschni­ttliche Verweildau­er von Straftäter­n nach Paragraf 63 des Strafgeset­zbuches von 10,8 Jahren. Unser Auftrag ist es, die Gefährlich­keit zu reduzieren – Straftäter aber nach Möglichkei­t wieder zu resozialis­ieren.

Ist es richtig, dass die Karl-Jaspers-Klinik die Unterbring­ung des Parkhausmö­rders von Emden, der 2011 ein elfjährige­s Mädchen ermordet hat, gelockert hat?

Annette Claßen: Dazu können wir nichts sagen. Über Einzelfäll­e dürfen wir keine Auskunft geben, wir unterliege­n da der Schweigepf­licht.

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BILD: TORSTEN VON REEKEN Verantwort­lich für den Maßregelvo­llzug in der Karl-Jaspers-Klinik: Annette Claßen, Direktorin der Klinik für Forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie.

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