Verfassungsschutz hat „Flügel“im Visier
Teile der AfD gelten nun offiziell als „Beobachtungsfall“– Etwa 700 Sympathisanten
In Hannover wurde der Verfassungsschutzbericht 2019 vorgelegt. Die Aktivitäten der AfD rücken stärken in den Fokus.
HANNOVER – Der niedersächsische Verfassungsschutz hat Teile der „Alternative für Deutschland“(AfD) als rechtsextrem eingestuft. Dabei geht es um jenen Personenkreis, der dem offiziell aufgelösten völkisch-nationalistischen „Flügel“zugerechnet wird, wie Innenminister Boris Pistorius (SPD) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes am Mittwoch in Hannover sagte. Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut geht davon aus, dass rund 700 Personen, also 20 Prozent der AfD-Mitglieder im Land, dem „Flügel“zuzurechnen sind.
„Flügel“-Anhänger äußerten sich diffamierend gegenüber bestimmten Personengruppen oder Menschen anderer Nationalitäten, so Pistorius. Kontakte reichten bis in die AfD-Landtagsfraktion. So hatten kürzlich der Abgeordnete Stefan Bothe und sein Bundestagskollege Jens Kestner den umstrittenen Thüringer AfD-Vorsitzenden Börn Höcke zu einer Rede nach Hannover eingeladen. Mit der
Einstufung als Beobachtungsobjekt kann der „Flügel“mit nachrichtendienstlichen Mitteln observiert werden. Abgeordnete genießen allerdings einen besonderen Schutz.
Weitere Themen des Verfassungsschutzberichts für 2019: ■ RECHTSEXTREMISMUS
Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Niedersachsen umfasst derzeit etwa 1160 Personen, heißt es in dem Bericht. Damit haben sich gegenüber dem Vorjahr kaum Veränderungen
ergeben. Die Zahl der NPD-Mitglieder sank von 250 auf 240. Noch einflussloser sei der lediglich 30 Mitglieder zählende Landesverband der Partei „Die Rechte“. Die Mitgliederzahl der „Identitären Bewegung Deutschland“stagniere und werde auf etwa 50 Personen geschätzt. Die Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“sei mit knapp 1300 Personen leicht rückläufig. In die aktuellen Protestaktionen gegen die Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie
mischten sich zunehmend Rechtspopulisten und -extreme. Pistorius zufolge wird der Rechtsextremismus digitaler. ■ LINKSEXTREMISMUS
Das Personenpotenzial der Autonomen und sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten sowie Anarchisten habe sich von 700 auf 780 Personen erhöht. „Insbesondere Autos und Wohnhäuser von AfD-Angehörigen waren Angriffsziele für die autonome Szene“, so Witthaut. Zudem gab es einen Brandanschlag auf die Göttinger Ausländerbehörde.
■ ISLAMISMUS
Die salafistische Szene in Niedersachsen habe sich seit 2011 von 275 Anhängern auf aktuell 900 Anhänger (bundesweit 12 150) mehr als verdreifacht. Die Anhängerzahlen stabilisieren sich mittlerweile auf einem hohen Niveau. Witthaut wies darauf hin, dass der Antisemitismus fest in der Ideologie der Islamisten verankert sei. Ein besonderes Augenmerk gelte auch Kindern, die in salafistisch geprägten Familien aufwachsen. Sie würden von klein auf zur Ablehnung der „ungläubigen“Mehrheitsgesellschaft erzogen.
Das Mitgliederpotenzial der „Arbeiterpartei Kurdistans“(PKK) sei mit 1600 Personen gleichgeblieben. Seitdem der selbst ernannte „Islamische Staat“sein Territorium militärisch verloren habe, gebe es grundsätzlich keine Ausreisen nach Syrien oder in den Irak mehr. Von den insgesamt 85 aus Niedersachsen in die Krisengebiete ausgereisten Personen seien 40 zurückgekehrt. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass weitere Personen „in niedriger zweistelliger Anzahl“zurückkehren. Für sie müsse ein „individuelles Maßnahmenkonzept“greifen, so Witthaut.