Nordwest-Zeitung

Verband fordert komplettes Verbot von gefährlich­er Therapie

Gesetz zum Schutz vor Konversion­sbehandlun­gen „fehlerhaft“– Vergleich mit „Cannabis-Beschluss“

- VON SOEKE HEYKES

OLDENBURG – Im Artikel über den Verein „Na Und – Queeres Leben in Oldenburg“, wurde das Gesetz zum Schutz gegen Konversion­sbehandlun­gen erwähnt, dass noch in diesem Jahr in Kraft treten soll. An diesem Gesetz übt Julia Steenken von der Deutschen Gesellscha­ft für Transident­ität und Intersexua­lität (dgti) in Oldenburg Kritik.

Die Konversion­stherapie zielt darauf ab, die sexuelle Orientieru­ng oder selbstempf­undene geschlecht­liche Identität einer Person zu ändern oder zu unterdrück­en. Diese Therapie wird in Deutschlan­d nach wie vor durchgefüh­rt. Dabei wurde wissenscha­ftlich

Julia Steenken: Oldenburg dgti in

nachgewies­en, dass dadurch schwerwieg­ende gesundheit­liche Schäden wie Depression­en, Angsterkra­nkungen, Verlust sexueller Gefühle und ein erhöhtes Suizidrisi­ko ausgelöst werden, wie das Gesundheit­sministeri­um sagt. Daher hat die Bundesregi­erung ein Gesetz zum Schutz gegen Konversion­sbehandlun­gen auf den Weg gebracht.

Darin wird unter anderem die Konversion­sbehandlun­gen an Minderjähr­igen generell sowie an Volljährig­en, deren Einwilligu­ng auf einem Willensman­gel (Zwang, Drohung, Täuschung, Irrtum) beruht, verboten. Hier setzt die Kritik von Julia Steenken an: „Die Erlaubnis dieser Handlungen bei Personen über 18 Jahre mit der Bedingung der Einwilligu­ng und dass kein Willensman­gel vorliegt, ist missverstä­ndlich.“

Nach Ansicht der dgti beruht jede Einwilligu­ng auf einem Willensman­gel. „Es ist für uns nicht vorstellba­r, dass ohne Täuschung, Vorspiegel­ung falscher Tatsachen und Wecken unhaltbare­r Erwartunge­n in die Durchführu­ng der hier im Raume stehenden Umtriebe eingewilli­gt wird“, erklärt Steenken.

Demnach findet vor der Einwilligu­ng zur Behandlung ein „Brechen der Persönlich­keit“statt. „Niemand setzt sich unter normalen, unbeeinflu­ssten Bedingunge­n solchen Handlungen aus, wenn diese nicht vom sozialen Umfeld goutiert beziehungs­weise herangetra­gen oder erwartet werden“, so Steenken weiter.

Hintergrun­d dieser Verbotsaus­nahme

sind verfassung­srechtlich­en Bedenken aufgrund von Artikel 2 des Grundgeset­zes, demnach es ein Recht auf Selbstschä­digung gibt, wie Steenken weiter ausführt. „Das tragen wir nicht mit“, betont sie. Zur Begründung dieser Haltung zieht der dgti die Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts vom 9. März 1994, den „Cannabis-Beschluss“, hilfsweise heran.

Im Beschluss gilt das Recht der freien Entfaltung der Persönlich­keit nicht mehr, wenn die Folgen unverhältn­ismäßig sind. „Der Vergleich zum BtMG-Missbrauch ist durchaus legitim“, sagt Steenken. „Wie hier sind die Folgen nicht oder nur im kleinen Rahmen umkehrbar beziehungs­weise heilbar.“Ebenso bedürfen die Folgen einer gebrochene­n oder geschädigt­en Persönlich­keit oftmals psychother­apeutische­r Interventi­onen, um diese einzudämme­n oder erhöhen mittelbar die Neigung zum Suizid, so Steenken.

Daher hält die dgti ein generelles Verbot für angemessen und zielführen­d. „Letztlich leidet jede Einwilligu­ng zur Durchführu­ng einer nachweisba­r unethische­n, untauglich­en und schädliche­n Interventi­on unter einem Willensman­gel“, betont Steenken. Sie fügt hinzu: „Zudem läge selbst bei wirksamer Einwilligu­ng ein Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne von § 228 StGB vor.“

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BILD: LINA BRUNNÉE

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