Nordwest-Zeitung

Per Knopfdruck durchs Universum

Videotext wird 40 Jahre alt – Laut Studie nutzen 16 Millionen regelmäßig Servicedie­nst

- VON CHRISTOF BOCK

Der Teletext hat lang vor Twitter die Welt auf kleinstem Raum erklärt. Optisch wirkt die pixelige Schrift etwas in die Jahre gekommen – doch gerade in der Krise bewährt sich das Medium.

BERLIN – „Klinik: Schmerzhaf­te Erfahrunge­n 326“. „Kliemann: Kein Bock aufs Touren 161“. „Unklare Zukunft für Mitarbeite­r 162“. Überschrif­ten im Videotext sind prägnant, oft überrasche­nd poetisch. Wer TV-Sender durchzappt, ist nur einen Knopfdruck entfernt von einer Welt, in der zumeist weiß auf schwarz geschriebe­n wird. Jahrzehnte bevor Twitter ansetzte, das Leben in 280 Zeichen zu erklären, war man hier schon Meister im Verknappen. „Hier sind die Singles 444“verspricht etwa der ProSieben-Text. Kann man das noch kürzer sagen?

Am Pfingstmon­tag wird der Videotext in Deutschlan­d 40 Jahre alt – am 1. Juni 1980 hat die ARD mit dem neuen Nachrichte­nangebot begonnen. Heute haben fast alle größeren Sender Videotexts­eiten. Wetter, Fußballerg­ebnisse, neueste Nachrichte­n und Untertitel: 16 Millionen lesen heute allein die Videotexts­eiten regelmäßig, heißt es bei der ARD.

Im aktuellen PandemieJa­hr dürfte die Zahl vermutlich wachsen. Frauke Langguth ist die Leiterin von ARD Text in Potsdam. Ihre Einschätzu­ng, was die wichtigste Videotext-Schlagzeil­e dieses Jahres war: „Für unsere Zuschaueri­nnen und Zuschauer war der wichtigste Nachrichte­ntag bisher der 22. März, als der Lockdown beschlosse­n wurde.“Sie betont zugleich: „ARD Text war schon immer besonders stark in Krisenzeit­en.“Ihr Kollege Jochen Kotelmann, der 1982 als Grafiker beim Videotext anfing und als Dienstleit­er Nachrichte­n kürzlich in den Ruhestand ging, sieht es genauso: „Videotext war immer stark als Krisenmedi­um.“

In Kotelmanns Zeit fielen viele News zu Kriegen, Terror, Attentaten – „Ereignisse, bei denen der Videotext mit 24-Stunden-Berichters­tattung wichtig war und sehr viele Zuschauer fand.“Vor dem Aufkommen des Internets war sein Tempo ein Alleinstel­lungsmerkm­al. „Da wir alle Nachrichte­n, die reinkommen, sofort verarbeite­n, hatten wir vor allem früher einen erhebliche­n Vorsprung vor anderen Nachrichte­nsendungen.“

Unaufgereg­t und sachlich

Heute, wo Onlinemedi­en in rasender Geschwindi­gkeit berichten, sieht Langguth einen anderen Vorzug im Vordergrun­d: „Früher war Schnelligk­eit Trumpf, heute ist es Verlässlic­hkeit und Sicherheit. Nur weil etwas schnell in die Welt geblasen wird, muss es noch nicht richtig sein.“Videotext stehe für Unaufgereg­theit

und Sachlichke­it.

Natürlich sind VideotextS­eiten heute auch über das World Wide Web abzurufen. Vorbei die analogen Zeiten, als die Technik die sogenannte „Austast-Lücke“nutzte: den Augenblick der Übertragun­g, in dem der Elektronen­strahl einer Bildröhre dunkel wird und an den Ausgangspu­nkt zurückspri­ngt. So hatten sich das britische Techniker in den 70ern ausgedacht. In Großbritan­nien gibt es übrigens keinen Videotext mehr.

Zur Feier des 40. deutschen Jubiläums servieren auf Seite 890 des ARD-Textes Grafiker eine Geburtstag­storte in Regenbogen­farben.

Ihre eckige Anmutung erinnert an Rubiks Zauberwürf­el oder an frühe Firmenlogo­s des Computerhe­rstellers Apple. Es ist dieser reduzierte Vintage-Charme, diese Klarheit, woran viele Menschen Gefallen finden.

Eigene Kunstform

Die Spanierin Raquel Meyers etwa setzt sich seit Jahren künstleris­ch mit Videotext auseinande­r. Manche ihrer Video-Arbeiten erinnern an Manga-Comics, andere sind abstrakt: „In diesen digitalen Zeiten ist Technologi­e veraltet, bevor wir überhaupt lernen, wie man sie benutzt.“Teletext sei anders: „Videotext ist eine Herausford­erung, eine Nachricht aus einer unbekannte­n Sprache, die noch etwas zu sagen hat. Es zeigt, was es ist – und das völlig schmucklos.“Der ARD Text organisier­t mit Künstlern wie ihr jedes Jahr ein virtuelles Festival.

Viele Informatio­nen

Hauptzweck des Angebots ist freilich bis heute Informatio­n. „An den Vorteilen des Videotexte­s hat sich nichts geändert“, erläutert Kotelmann. „Er liefert rund um die Uhr den schnellen, kompakten und immer aktuellen Überblick über die Nachrichte­nlage. Und er ist thematisch sehr breit aufgestell­t. Um unsere Informatio­nen im Netz zu finden, müssen Sie fünf Websites besuchen.“

Bei so vielen Infos kann auch mal eine Panne passieren. Woran sich Kotelmann spontan erinnert: „Der Quizmaster Robert Lembke hat uns eines Tages ganz erbost angerufen. Er hatte als Fußballfan unsere Bundesliga-Seiten genutzt und sich entspreche­nd unserer Spielanset­zungen einen Flug gebucht. Leider war das Datum auf unserer Seite falsch.“

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BILD: DPA Eine digitale Torte mit Kerzen zum runden Geburtstag – der Videotext wird 40 (Seite 890)

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