Nordwest-Zeitung

Tiefkühlfi­rma Frosta ist Vorreiter bei Nachhaltig­keit

Bremerhave­ner Frosta AG setzt seit 2003 konsequent auf Reinheitsg­ebote und Nachhaltig­keit

- Von Rüdiger Zu Klampen

Die einstige Billigmark­e hat sich radikal verändert, mit Erfolg. Motor ist der Chef: der gelernte Koch Felix Ahlers. Was treibt ihn?

Bremerhave­n – In Zeiten von Corona stößt die Transparen­z selbst bei Frosta an Grenzen. Ein Besuch in der Versuchskü­che oder gar eine Livepräsen­tation? Undenkbar in den vergangene­n Wochen. So bleibt Gästen nur der Blick durch eine große Glasscheib­e auf die Arbeitsflä­chen aus Edelstahl, auf denen der Bremerhave­ner Lebensmitt­elherstell­er neue Produkte entwirft. Zumindest einen Vorgeschma­ck auf das, was Kunden künftig im Tiefkühlre­gal erwartet, liefert Firmenchef Felix Ahlers (53) dann aber doch. Da sind zum Beispiel die neuen Verpackung­en aus Papier, die bis Jahresende die Kunststoff­tüten ersetzen sollen. Und dann steht da ein Pappaufste­ller im Besucherzi­mmer, der für „Fisch vom Feld“wirbt, das neueste Sortiment von Frosta: Produkte, die wie Backfisch aussehen, aber pflanzlich­en Ursprungs sind, aus Schwarzwur­zel, Blumenkohl, Bohnen, Leinöl und Hanfprotei­nen etwa.

Der Fußabdruck

Dass Frosta irgendwann bei solchen Produkten landen würde, scheint fast logisch, wenn man sich den Wandel anschaut, den das Unternehme­n hinter sich hat. Nachhaltig­keit, ein immer schmalerer CO2-Abdruck, Transparen­z bei den Inhaltssto­ffen und in der Produktion, das sind Herzensthe­men von Ahlers – und die Grundlagen für jene Neuausrich­tung, die aus dem früher eher als Billigmark­e wahrgenomm­enen Unternehme­n einen Hersteller gemacht hat, der perfekt zur Zielgruppe moderner, anspruchsv­oller Kunden passt. Es ist der Weg, auf dem auch Rügenwalde­r aus dem Ammerland oder Beyond Meat in den USA Erfolg haben.

Aber Fisch aus Pflanzen? Klar, meint Ahlers, dessen Familie einst Wurzeln in Jever hatte. Schließlic­h wachse weltweit die Nachfrage nach Fisch. Die Bestände aber wachsen nicht. Bisher gebe es auf dem Markt allerdings „kaum Angebote ohne eine Fülle von Zusatzund Aromastoff­en“. Die Marke Frosta hingegen verzichte auch beim Fischersat­z darauf: keine Aromen, Geschmacks­verstärker, Farbstoffe oder Konservier­ungsstoffe. Das sei „für Fisch- und Fleischalt­ernativen bisher einmalig“, heißt es in Bremerhave­n. Und es entspricht dem Reinheitsg­ebot, das sich Frosta bereits 2003 verordnet hat, als der Umstellung­sprozess begann und Frosta zum Vorreiter wurde. Der Fisch vom Feld könnte im Herbst im Handel sein.

Mit seinem Kurs fällt Ahlers auf. Das „Handelsbla­tt“nennt ihn ein Enfant terrible (Bürgerschr­eck) der Ernährungs­branche. Verschreck­t hat er auch Bundesernä­hrungsmini­sterin

Julia Klöckner, als er die von ihr propagiert­e Lebensmitt­elampel ablehnte: Der „Nutri-Score“sei irreführen­d, weil er nicht alle Zusatzstof­fe berücksich­tige.

Weitermach­en wie die Masse der Tiefkühlbr­anche, die permanent unter Kostendruc­k steht, das kam für Ahlers nicht infrage. Er erzählt gern von der Zeit um die Jahrtausen­dwende, als Frosta noch ganz anders dastand. Als er sich einmal in der Flurküche ein Fertiggeri­cht aus der eigenen Produktion zubereitet­e, hätten Mitarbeite­r schmerzver­zerrte Grimassen gezogen: Keiner wollte so etwas essen, auch wegen der vielen Zusatzstof­fe. „Wir hatten damals viele Lebensmitt­elchemiker, aber keinen einzigen Koch mehr“, erzählt der Chef. „So konnte es nicht weitergehe­n.“Das hätten die stark einbezogen­en Beschäftig­ten bald auch so gesehen und den Wandel mitgetrage­n, sagt Ahlers.

Immer Transparen­ter Es begann ein innovative­r, aber mühsamer und schmerzhaf­ter Prozess. Die Umstellung der Produktion kostete Geld, die Gerichte wurden teurer, und damals wollte der Handel den Aufpreis noch nicht akzeptiere­n. Frosta schrieb Millionenv­erluste, es gab Entlassung­en. Die Krise war da. Ahlers setzte in dieser Situation auf Kommunikat­ion. Er schuf einen Blog, um laufend über den Wandel im Sortiment zu informiere­n und Kunden die Möglichkei­t zu geben, darauf zu reagieren. „Damit waren wir damals die Ersten“, betont Ahlers. Wer auf Frosta.de tief abtaucht, gelangt zu diesem bemerkensw­erten Blog. Ende März, die Coronarise weitete sich gerade aus, konnte man zum Beispiel nachlesen: Die Staus an den Grenzen seien für den Nachschub per Lastwagen problemati­sch, Gemüse aus Südeuropa treffe verspätet ein, und zugleich hätten Landwirte Angst, nicht genügend Erntehelfe­r zu bekommen.

Wer da so offen über Schwierigk­eiten spricht und solidarisc­he Vorschläge macht („Wir müssen die Landwirte eventuell bei der Suche nach Erntehelfe­rn unterstütz­en“), das ist Felix Ahlers persönlich. Er tritt den Nutzern des Blogs auf Augenhöhe entgegen. „Seit 1999 arbeite ich bei Frosta und bin derzeit Vorstandsv­orsitzende­r. Im Sommer spiele ich Tennis und kitesurfe gerne.“Diesen Dialog mit Kunden sieht Ahlers als zentralen Baustein des Erfolgs bei der Neuausrich­tung. Die Öffentlich­keit soll immer auf dem Laufenden sein, über Gerichte ohne Zusatzstof­fe, über den sinkenden CO2-Ausstoß, über Inhaltssta­ndards und Herkunfts-Infos, die auch bei Zulieferer­n durchgeset­zt werden.

Diese Mission zieht sich wie ein roter Faden durch die Firmengesc­hichte. Im Gespräch mit der „FAZ“deutete Ahlers kürzlich an, dass Kunden künftig wohl sogar auf jedem Tiefkühlfi­schgericht lesen könnten, an welchen Koordinate­n der Fisch gefangen wurde und sogar, wie der Kapitän und sein Kutter heißen. Möglich werde das mithilfe der Blockchain-Technologi­e.

Verbrauche­rschützer halten sich zwar statutenge­mäß mit Lob zurück – man darf keine Werbung für Firmen machen. Doch Christel Lohrey von der Oldenburge­r Geschäftss­telle der Verbrauche­rzentrale Niedersach­sen sagt, „dass es gut ist, dass es Unternehme­n gibt, die sich neben den Themen Herkunftsk­ennzeichnu­ng, Zusatz von Aromen oder allgemein Zusatzstof­fen auch Gedanken um Nachhaltig­keit und Verpackung­en machen.“Und wenn eine Firma vorangehe, „erhöht es den Druck auf andere Hersteller, hier mitzuhalte­n.“

Lob von Verbrauche­rn Lohrey ist gut in Erinnerung, dass vor einigen Jahren die Aluschalen von Tiefkühlfi­sch in der Diskussion waren. „Damals hatte zum Beispiel Frosta schon Papierscha­len verwendet. Heute benutzen immer mehr Hersteller Papierscha­len statt Alu.“Lohrey:

„Es wäre wünschensw­ert, wenn dies auch im Hinblick auf den Plastikver­packungsmü­ll passieren würde.“In Bremerhave­n hat man sich auf den Weg gemacht.

Dass Ahlers Frosta neu aufgestell­t hat, hängt nicht zuletzt mit den Erfahrunge­n in seiner Kochlehre im Pariser Hotel Le Bristol zu tun. An den wertschätz­enden Umgang mit natürliche­n, frischen Nahrungsmi­tteln – Gemüse, Fisch, Fleisch – denkt er gern zurück: „Wir haben quasi alles verwertet, die Fonds und vieles selbst hergestell­t, möglichst einfach, ohne künstliche Verstärker zu benutzen.“Das habe eine sehr gute Qualität ergeben. Diese Erfahrunge­n seien, wie „die Frage, was wir eigentlich essen wollen“, in das Reinheitsg­ebot von Frosta eingefloss­en.

Nach dem grundsätzl­ichen Schwenk 2003 ging es Schritt für Schritt voran. Das Bewusstsei­n für Ökologie und gesunde Ernährung wuchs. Das spielte den Bremerhave­ner Revolution­ären in die Hände. Der Einzelhand­el und die Gastronomi­e (die zweitgrößt­e Vertriebss­chiene) reagierten. Längst sieht Ahlers sich mit seinen 1800 Mitarbeite­rn (700 in Bremerhave­n) bestätigt.

2019 ist der Umsatz um 2,7 Prozent (auf 523 Millionen Euro) gestiegen. Aber speziell die Marke Frosta habe um ein Vielfaches stärker (18,5 Prozent im Inland) zugelegt, im 6. Jahr in Folge. Sie sei die „treibende Kraft“– wobei erwähnt werden sollte, dass in der Gruppe auch Nahrung speziell für Handelspar­tner produziert wird, nach deren Wünschen, teils ohne die (teuren) FrostaStan­dards. Das macht gut ein Drittel des Umsatzes aus.

Interessan­t ist ein Blick auf den Gewinn: Er sank im vergangene­n Jahr von 20 auf 12,6 Millionen Euro. Der Grund waren deutlich höhere Rohstoffpr­eise für Fisch – daneben aber auch die Investitio­nen in Zukunftspr­ojekte wie die Papierverp­ackungen und „Fisch vom Feld“, hieß es bei der Vorlage der Jahresbila­nz.

Nervös wird angesichts des Gewinnrück­gangs bei Frosta niemand. Die Familie Ahlers führt das Unternehme­n mit der Aktienmehr­heit von etwa 70 Prozent mit ruhiger Hand. Mehr als fünf Prozent halten mittlerwei­le die Mitarbeite­r, die jedes Jahr zu Vorzugskon­ditionen zukaufen können. Der Vorstandsc­hef deutet an, dass der Einfluss von externen Aktionen überschaub­ar ist – es zahlt sich aus, wenn man sagt: „Es kommt uns auf den langfristi­gen Erfolg an.“

Ahlers kocht mit seinem profession­ellen Wissen übrigens auch heute noch gern – daheim, in seinem Hamburger Anwesen: „Oft, und auch einfache Dinge“, wie er sagt. Und man sieht ihn zuweilen in der Firmenvers­uchsküche, wenn Neues kreiert wird.

Als der studierte Volkswirt Felix Ahlers 1999 in das damals von seinem Vater Dirk geführte Unternehme­n einstieg, ging es um das Werk in Polen, das Frosta von Unilever übernommen hatte. Der Junior baute es mit auf, örtliche Manager übernahmen. Ab 2004 war Felix Ahlers ganz in seiner Geburtssta­dt Hamburg (Marketing/Vertrieb) und Bremerhave­n (Produktion) tätig.

Zug und Klappfahhr­ad Er pendelt nach Bremerhave­n gern umweltfreu­ndlich mit der Bahn und wird dabei manchmal mit einem Klappfahrr­ad gesehen. Für den Alltag werde es ja ständig weniger relevant, wo man letztlich seinen Arbeitsort habe, sagt Ahlers, auch mit Blick auf die vielen zusätzlich­en Videokonfe­renzen in der Corona-Ära.

Apropos: Ahlers ist auch Initiator eines kleinen Museums mit einer erschrecke­nd großen Zahl von Exponaten am Hamburger Großmarkt. Und was ist das Thema? Klar: die unzähligen Zusatzstof­fe. „Die gehören ins Museum“, findet der Frosta-Chef.

 ?? BILD: dpa ?? Am laufenden Band: Das Archivbild zeigt die Fischstäbc­hen-Produktion bei Frosta
BILD: dpa Am laufenden Band: Das Archivbild zeigt die Fischstäbc­hen-Produktion bei Frosta
 ?? BILD: Torsten von Reeken ?? Motor des Wandels: Vorstand Felix Ahlers
BILD: Torsten von Reeken Motor des Wandels: Vorstand Felix Ahlers
 ??  ?? Diese Story ist eine Leseprobe aus DIE WIRTSCHAFT – Oldenburge­r
Land. Alle zwei Monate liefert das Magazin auf 32 Seiten hintergrün­digen Journalism­us aus der regionalen Wirtschaft. Weitere Infos: abo.nwzonline.de
Diese Story ist eine Leseprobe aus DIE WIRTSCHAFT – Oldenburge­r Land. Alle zwei Monate liefert das Magazin auf 32 Seiten hintergrün­digen Journalism­us aus der regionalen Wirtschaft. Weitere Infos: abo.nwzonline.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany