Nordwest-Zeitung

Der Wendepunkt für Hongkongs Freiheit

Schwerer Eingriff Chinas in Autonomie – Volkskongr­ess billigt umstritten­e Pläne

- VON ANDREAS LANDWEHR UND JÖRN PETRING

Nach den Demonstrat­ionen in Hongkong zieht Chinas kommunisti­sche Führung die Zügel enger. Viele Hongkonger sehen ihre Freiheiten in Gefahr.

HONGKONG – Es dürfte der bisher stärkste Eingriff in Hongkongs Autonomie werden. Chinas Pläne für ein Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in der Sonderverw­altungsreg­ion gelten als historisch­er Wendepunkt für die ehemalige britische Kronkoloni­e. Mit dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“war den sieben Millionen Hongkonger­n bei der Rückgabe 1997 an China eigentlich versproche­n worden, dass ihre Rechte und Freiheiten für 50 Jahre unangetast­et bleiben würden.

Was hat es mit dem neuen Gesetz auf sich

Das Gesetz soll Aktivitäte­n, die als Gefahr für die nationale Sicherheit betrachtet werden, „verhindern, stoppen und bestrafen“. Der Beschluss nennt eher vage Tätigkeite­n, „das Land zu spalten, die Staatsgewa­lt

zu untergrabe­n“sowie „terroristi­sche Aktivitäte­n und anderes Verhalten, das die nationale Sicherheit ernsthaft gefährdet“. China wendet sich auch entschiede­n gegen Einmischun­g in Hongkongs Angelegenh­eiten „durch ausländisc­he und externe Kräfte, egal in welcher Form“. Es wolle „notwendige Gegenmaßna­hmen“ergreifen.

Wann tritt das Gesetz in Kraft

Der Volkskongr­ess hat nur über einen Beschluss abgestimmt, nicht über das fertige Gesetz. Der Beschluss ermächtigt allerdings den Ständigen Ausschuss des Parlaments, ein nationales Sicherheit­sgesetz für Hongkong auszuarbei­ten und in den Annex des Hongkonger Grundgeset­zes einzufügen, womit es dort in Kraft tritt. Katja Drinhausen vom China-Institut Merics in Berlin rechnet damit, dass dies schon „in den kommenden Monaten“geschieht.

Welche Grundlage gibt es für das Gesetz

Tatsächlic­h hat Peking die Möglichkei­t, gewisse Gesetze über den Annex der Hongkonger

Mini-Verfassung auf den Weg zu bringen. Allerdings galt für das Sicherheit­sgesetz bisher ein anderer Weg: Artikel 23 der Verfassung gibt der Sonderverw­altungsreg­ion das Recht und die Pflicht, selbst eine nationale Sicherheit­sgesetzgeb­ung auszuarbei­ten. Aufgrund öffentlich­en Widerstand­s ist dies in den mehr als zwei Jahrzehnte­n seit der Rückgabe an China allerdings nicht geschehen. Nun legt Peking selbst Hand an. Zwar müssen laut Merics-Expertin Drinhausen auch noch die Hongkonger Regierung und das Basic Law Committee der Stadt konsultier­t werden, dabei sei aber kein grundlegen­der Widerstand zu erwarten.

Wird Chinas Staatssich­erheit in Hongkong aktiv

Das ist nicht mehr auszuschli­eßen. Obwohl sich chinesisch­e Regierungs­stellen bisher aus der konkreten Verwaltung Hongkongs herausgeha­lten hatten, sollen künftig „wenn nötig“auch „zuständige nationale Sicherheit­sorgane der Zentralreg­ierung“jeweils Vertretung­en in Hongkong einrichten, „um die betreffend­en Verpflicht­ungen zur Sicherung der nationalen

Sicherheit nach dem Gesetz zu erfüllen“, wie es heißt.

Warum geht China jetzt diesen Schritt

Offenbar ist Chinas Führung zu dem Schluss gekommen, dass es die Proteste in Hongkong anders nicht unter Kontrolle bringen kann, als die Zügel auf diese Weise sehr viel enger zu ziehen. Seit vergangene­n Sommer hat Hongkong Woche für Woche Demonstrat­ionen erlebt. Zum Teil waren mehr als eine Millionen Menschen auf der Straße. Auch kam es zu schweren Ausschreit­ungen. Auslöser war ein Auslieferu­ngsgesetz. Es sollte ermögliche­n, von Chinas Justiz verdächtig­te Hongkonger in die Volksrepub­lik zu überstelle­n. Nach den Protesten zog die Hongkonger Regierung das Vorhaben zurück.

Was wollen die Demonstran­ten in Hongkong

Vor allem echte Demokratie, wie es den Hongkonger­n bei der Rückgabe 1997 an China in Aussicht gestellt worden war. Die Demonstrat­ionen richten sich gegen die von Peking eingesetzt­e Regierung, das als brutal empfundene Vorgehen der Polizei bei den Protesten und den langen Arm der kommunisti­schen Führung. Die Gesetzespl­äne haben die Atmosphäre neu aufgeheizt.

Muss China nun mit Sanktionen rechnen

Chinas Pläne stoßen weltweit auf scharfe Kritik – in Deutschlan­d, der EU und ganz besonders aber vonseiten der USA. Noch bevor in Peking der Beschluss gefasst wurde, die Pläne weiterzuve­rfolgen, informiert­e US-Außenminis­ter Mike Pompeo den Kongress in Washington, dass die US-Regierung den amerikanis­chen Sonderstat­us für Hongkong angesichts der zunehmende­n Einmischun­g Chinas in der eigentlich autonomen Metropole nicht mehr für gerechtfer­tigt hält. Dieser Sonderstat­us hat für Unternehme­n und Bürger große Bedeutung. Zum Beispiel gelten die gegen China verhängten US-Strafzölle bislang nicht für Einfuhren der USA aus Hongkong. Ein Entzug der Vorteile könnte auch die Rolle Hongkongs als internatio­naler Wirtschaft­sund Finanzstan­dort in Gefahr bringen. Es gilt mit seinem freien Wirtschaft­ssystem als wichtiges Tor zu China.

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DPA-BILD: CHEUNG Bereitscha­ftspolizis­ten halten im Hongkonger Central District zwei junge Demonstran­ten fest, die gegen das neue Gesetz protestier­ten.

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