Nordwest-Zeitung

Wendland auch als Tatort gut geeignet

Auch mit einem abgehackte­n Finger kann man der Region und ihren Bewohnern huldigen

- Von Peer Körner

Lange Zeit haben Gorleben und einst auch der Göhrdemörd­er für Schlagzeil­en gesorgt, jetzt herrscht Ruhe im dünn besiedelte­n Wendland. Doch literarisc­h tut sich dort etwas.

Lüneburg – Gorleben und der Göhrdemörd­er. Das sind schlagzeil­enträchtig­e Themen, wenn es um den Landkreis Lüchow-Dannenberg geht, das Wendland also. Immer wieder hat Gorleben als Standort eines möglichen Endlagers für hoch radioaktiv­en Müll im Fokus gestanden. Die legendären Transporte ins Zwischenla­ger führten zu teils schweren Konflikten zwischen Atomkraftg­egnern und Polizei, doch der vorerst letzte Castor-Behälter rollte 2011 ins Wendland. Die Göhrdemord­e liegen noch länger zurück – ein ehemaliger Friedhofsg­ärtner gilt als Verantwort­licher für die zwei Doppelmord­e von 1989 in dem großen Waldgebiet östlich von Lüneburg.

Felder und lichte Kiefernwäl­der auf sanften Hügeln entlang der Elbe prägen das Bild, die X-förmigen Holzkreuze in Gelb haben die Atomkraftg­egner aufgestell­t. Der Name „Hannoversc­hes Wendland“für die Region mit nur rund 50 000 Einwohnern entstand vor etwa 300 Jahren, als Reste der wendischen Sprache erfasst wurden.

Außer dem Kartoffels­onntag in Dannenberg gibt es die Deutsche Fachwerkst­raße, die Sommerlich­en Musiktage in Hitzacker und die „Kulturelle Landpartie“: Künstler und Kunsthandw­erker öffnen dann für zwölf Tage Höfe und Ateliers. Auch mit Musik, Theater und Kabarett zieht das Festival alljährlic­h Zehntausen­de Besucher an. Entstanden ist es 1989 aus der Widerstand­sszene gegen die Atomenergi­e.

„Das Nebeneinan­der und manchmal Durcheinan­der von schrägen Typen und Aufsässige­n und eher konservati­ver Dorfbevölk­erung macht den Reiz aus“, sagt der 1947 in Gartow geborene Wolfgang Ehmke. Der 72-Jährige ist Sprecher der Bürgerinit­iative Umweltschu­tz Lüchow-Dannenberg und hat an entscheide­nder Stelle den Widerstand gegen Gorleben mitorganis­iert.

Literarisc­hes Alter Ego

Ehmke hat das Wendland im vergangene­n Jahr zum Schauplatz eines Romans gemacht. „Der Kastor kommt“, heißt das Buch, ist aber laut Untertitel „Eine Beziehungs­geschichte“. Wie sein literarisc­hes Alter Ego Robert ist Ehmke jahrelang als Lehrer nach Hamburg gependelt. Die nur etwa anderthalb Stunden entfernte Großstadt spielt eine tragende Rolle mit ihren Szeneviert­eln, Hochschule­n und Galerien.

Ist Robert im Wendland, so steht vor allem der CastorTran­sport

Gespenstis­che Atmosphäre: Der Konvoi mit Castorbehä­ltern fährt vom Verladekra­n aus in das Zwischenla­ger in Gorleben an einem Mann mit einem leuchtende­n Protest-Kreuz vorbei.

von 2011 im Mittelpunk­t. Die Atomkraftg­egner haben dafür gesorgt, dass es der bislang längste und teuerste wurde. Und so geht es auch um die Auseinande­rsetzungen mit der Polizei. Nächtliche Aktionen auf Gleisen und Straßen werden aus unterschie­dlichen Perspektiv­en geschilder­t, der Freund der Nichte ist Polizist.

Das Ganze ergibt ein buntes Bild wie in einem Kaleidosko­p, der Blick des in die Jahre gekommenen und ob vieler Wiederholu­ngen und Unsicherhe­iten ermüdeten Helden auf dem direkten Weg zum Burnout. Ihm ist „die Frische abhandenge­kommen“, auch wenn er noch für eine Künstlerin in Hamburg schwärmen kann.

Verschiede­ne Typen

In „Der Kastor kommt“machen vor allem die Menschen den Reiz des Landstrich­s aus, das Treffen unterschie­dlichster Charaktere in den Trebeler Bauernstub­en und im Café Grenzberei­che etwa. „Jung & Alt, Uneinsicht­ige, Kurzsichti­ge & Weitsichti­ge, Müslis & Mollis“, schreibt Ehmke. „Klock zehn strömten alle in den Tanzsaal und es ging

gleich los. Nicht wie in der Stadt, wo es uncool war, sich vor Mitternach­t auf eine Tanzfläche zu wagen. Wo man sich unterkühlt ignorierte.“Sonst Bauernhaus und Gemüsegart­en statt leerer Gesichter im Großstadt-Trott. Auch Ehmkes Groteske „Tanz den SuperGau“hat das Wendland und den Widerstand gegen den Atommüll zum Thema, am Ende der aktuellen Neuauflage werden Personen und Bezüge entschlüss­elt.

Anders als Ehmke ist Journalist und Autor Rolf Dieckmann (73) aus Hamburg ins Wendland gekommen. Lange Zeit war er als Journalist beim „Stern“in Hamburg. Er war auch Galerist und Filmproduz­ent, schrieb Drehbücher, Satiren und Politthril­ler. Ein altes Bauernhaus im kleinen Satemin ist Dieckmanns Rückzugsor­t.

Held seiner bislang zwei Wendland-Krimis ist Erik Corvin, benannt nach einem Dorf ganz in der Nähe. Wie sein Erfinder hat der eigenbrötl­erische Oberkommis­sar lange im nahen Hamburg gelebt, kehrt dann aber in seine beschaulic­he Heimat zurück. In dem Anfang des Jahres erschienen „Kalthaus“hat Corvin seinen Beruf als Polizist endgültig

aufgegeben. Doch dann taucht ein Sack voll Geld auf, eine junge Frau ist verschwund­en. Auch eine Entführung wird zum Thema, sogar ein abgehackte­r Finger kommt vor.

Details über die Wenden

„Die Bücher von Dieckmann sind die erfolgreic­hsten Krimis aus dem Wendland“, sagt Stefanie Thörmer von der Alten Jeetzel-Buchhandlu­ng in Lüchow, ein eigener Verlag gehört auch dazu. Dort wird etwa „Parums Welt“verlegt. „Der Roman von Heide Kowalzik malt ein farbenfroh­es Bild vom Leben des unermüdlic­hen Chronisten Johann Parum Schultze, der Details über Leben und Sprache der Wenden überliefer­t hat“, wirbt Thörmer.

Auch in den beiden Krimis von Dieckmann geht es wie bei Ehmke um Künstler, Müslis und Gemüseanba­u für Selbstvers­orger. Ganz wichtig ist wie bei Ehmke die Dorfkneipe als „Zentralorg­an wendländis­cher Kommunikat­ion“. Und so ist auch Corvins erster Auftritt „Es sind Wölfe im Wald“von 2019 eine eher blutige Hommage an das Wendland und seine Bewohner.

Konfliktre­gion Wendland: Polizisten räumen im Jahr 1980 das Anti-Atom-Dorf auf dem Gelände der geplanten Atommüll-Lagerstätt­e mit Wiederaufa­rbeitungsa­nlage in Gorleben.

Im Mittelpunk­t des Krimis steht ein mörderisch­er Bogenschüt­ze, seine Opfer verbindet ein düsteres Geheimnis. Doch auch da geht es um die Ruhe, die wunderbare Landschaft und die für die Region typischen Rundlingsd­örfer, in denen die Bauernhäus­er wie Tortenstüc­ke um einen zentralen runden Dorfplatz stehen. Auch Dieckmanns Wohnort Satemin ist eines von ihnen.

Leben und leben lassen

„Ich habe noch nie so viele kreative Individual­isten getroffen, alles nach dem Motto: leben und leben lassen“, sagt Dieckmann. „Anderersei­ts sind sie zugewandt und hilfsberei­t“, meint er, selbst ein eher ruhiger Beobachter mit kritischem Blick. Dazu komme die eindrucksv­olle Landschaft. „Das ist Provinz, aber eine sehr schöne“, lässt Dieckmann Corvin über das Wendland sagen.

Wolfgang Ehmke: Der Kastor kommt! Eine Beziehungs­geschichte, ISBN: 978-3-926322-72-2, 132 Seiten, Druck- und Verlagsges­ellschaft Köhring GmbH & Co. KG, Lüchow 2019, 8,90 Euro

Wolfgang Ehmke: Tanz den SuperGau, ISBN: 978-3-926322-70-8, 120 Seiten, Druck- und Verlagsges­ellschaft Köhring GmbH & Co. KG, Lüchow 2020, 8,90 Euro

Rolf Dieckmann: Es sind Wölfe im Wald, ISBN: 978-3-8319-0740-3, 272 Seiten, Ellert & Richter, Hamburg 2019, 9,95 Euro

Rolf Dieckmann: Kalthaus, ISBN: 978-3-8319-0751-9, 248 Seiten, Ellert & Richter, Hamburg 2020, 9,95 Euro

Heide Kowalzik: Parums Welt, ISBN: 978-3-928117-29-6, 131 Seiten, Jeetzelbuc­h Verlag, Lüchow 2017, 16,80 Euro

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Dpa-BILD: Lübke
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