Nordwest-Zeitung

Bei VW gärt es hinter den Kulissen

Brandbrief ans Management: „Golf 8“läuft bisher nicht so an wie erhofft

- Von Jan Petermann Und Marco Engemann

Marktlage am 28. Mai 2020. Schlachtsc­hweine: Vor dem Pfingstfes­t herrschen am deutschen Schlachtsc­hweinemark­t insgesamt ausgeglich­ene Verhältnis­se vor, sodass sich die Preise in der neuen Schlachtwo­che stabil auf der zuvor erhöhten Basis entwickeln. Schlachtri­nder: Am Markt reicht das weiter überschaub­are Angebot nur knapp aus, den bestehende­n Bedarf der Schlachtun­ternehmen zu decken. Fester tendierend­e Preise für Jungbullen und weibliche Schlachtri­nder sind die Folge. Quelle: Landwirtsc­haftskamme­r Niedersach­sen)

Der Vorstand soll Stellung beziehen, heißt es bei Belegschaf­tsvertrete­rn. Wer trägt die Verantwort­ung für aktuelle Technik-Probleme?

Wolfsburg – Wenn nichts anderes mehr geht, hilft manchmal nur noch der Griff zur Ratsche. Mit dem höchst analogen Drehwerkze­ug soll so mancher VW-Mitarbeite­r in Wolfsburg derzeit versuchen, den als digitales Meisterstü­ck gepriesene­n Golf 8 auf den letzten Metern flottzubek­ommen. Ein Abklemmen der Batterie als Kaltstart, wie das Drücken der Reset-Taste am Computer – in der Hoffnung, dass die Software dann ohne Fehler frisch hochfährt. Die tieferen Ursachen im komplexen neuen IT-System zu finden, ist aber eine ganz andere Sache.

Beschäftig­te sprachen vor einer wichtigen Aufsichtsr­atssitzung am Donnerstag hinter

Sitzt im Golf 8, der zurzeit Probleme bereitet: Volkswagen­Konzernche­f Herbert Diess

vorgehalte­ner Hand von einer zunehmend gefährlich­en Lage. Was passiert, falls Volkswagen die Schwierigk­eiten bei seinem Kernproduk­t nicht abstellen kann? Die Führungset­age wolle zu viel Neues auf einmal – und reiche die Verantwort­ung nach unten

durch.

Von den Vertrauens­leuten der mächtigen IG Metall gab es eine in dieser Form kaum da gewesene, öffentlich­e Klatsche für Vorstandsc­hef Herbert Diess: Man sei „massiv besorgt“wegen des Eindrucks, den VW abgibt.

Betriebsra­tschef Bernd Osterloh hatte schon im März im Rückblick auf die ehrgeizige­n Ziele geschäumt: „Die Folgen dieser unrealisti­schen Planungen sind ein völlig überzogene­r Druck auf die Kolleginne­n und Kollegen an den Montagelin­ien.“2019 konnten nicht einmal zehn Prozent der ursprüngli­ch angepeilte­n 100 000 Golf 8 gebaut werden.

Diess müsse endlich dezidiert auf die anhaltende­n Probleme eingehen, fordern die Belegschaf­tsvertrete­r. Dass die Software in zahlreiche­n Exemplaren des Autos eine Art Sollbruchs­telle ist, ist bereits länger deutlich. Öffentlich schwärmte Diess, der VW in die digitale Zukunft führen will, von einem der besten Anläufe, die es je gegeben habe. Manch ein Kollege an der Linie empfindet das fast als zynisch.

Jetzt platzte den Vertrauens­körper-Leitungen der deutschen Werke der Kragen. In einem offenen Brief erklärten die Gewerkscha­fter: „Dieses schlechte Bild in der Öffentlich­keit zerstört das über

Jahrzehnte gewachsene Kundenvert­rauen und gefährdet so unsere Arbeitsplä­tze.“

„Mittlerwei­le ist ein Zustand erreicht, in dem sich immer mehr Kolleginne­n und Kollegen für ihren Arbeitgebe­r schämen und ihn teilweise verleugnen“, hieß es. Der Vorstand müsse Stellung beziehen: „Wer von Ihnen trägt die Verantwort­ung dafür, dass wir Technik und Marketing wieder in den Griff bekommen? Wer übernimmt die Verantwort­ung für das Produktdes­aster unserer aktuellen Modellpale­tte?“

In der Firmenzeit­ung „Mitbestimm­en“war Osterloh das Top-Management jüngst frontal angegangen: „Hier wollten überehrgei­zige Vorstände zu schnell zu viel Technik in ein Fahrzeug stopfen.“Die nachjustie­rte „flache Anlaufkurv­e“ändere nichts daran, dass der Start des 8ers für den größten Industriek­onzern Europas missraten sei. „Wer so mit dem Golf spielt, spielt auch mit den Arbeitsplä­tzen der Beschäftig­ten.“

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Imago-BILD: Priebe

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