Nordwest-Zeitung

Die Furcht vor den Blicken der anderen

Eine Therapie kann helfen – Mit gezieltem Training gegen die Angst

- VON ANGELIKA MAYR

Es ist mehr als nur Schüchtern­heit oder Introverti­ertheit. Wer Sozialphob­iker ist, hat Angst vor alltäglich­sten Situatione­n. Die Erkrankung sollte man ernst nehmen – wie wird sie behandelt?

WASSERBURG/BERLIN – „Reiß dich zusammen! Das ist doch nichts!“Solche und ähnliche Sprüche hören viele Patienten von Prof. Peter Zwanzger – bevor sie sich bei ihm psychother­apeutische­n Rat wegen ihrer Sozialphob­ie einholen.

„Deswegen mache ich meinen Patienten im Erstgesprä­ch immer Mut“, erklärt der Chefarzt der Allgemeinp­sychiatrie und Psychosoma­tik am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg am Inn.

Starke Furcht vor negativer Bewertung

Dass andere das Problem des Betroffene­n nicht ernstnehme­n oder heruntersp­ielen, liegt womöglich auch daran, dass sie das Verhalten mit Schüchtern­heit oder Introverti­ertheit verwechsel­n. Doch die Sozialphob­ie grenzt sich davon klar ab. „Denn die soziale Phobie ist durch die starke Furcht geprägt, von anderen Menschen negativ bewertet oder kritisiert zu werden“, sagt Dietrich Munz, Präsident der Bundespsyc­hotherapeu­tenkammer.

Introverti­ertheit ist eine Charaktere­igenschaft. Solche Menschen sind meist in sich gekehrt und gegenüber anderen zurückhalt­end – aber nicht, weil sie Angst haben. „Schüchtern­e Menschen haben dagegen auch eine Angst vor zwischenme­nschlichen, insbesonde­re nicht vertrauten Kontakten“, erläutert Munz. „Dieses Verhalten wird erlernt und kann durch Training wieder verlernt werden.“

Schüchtern­heit kann in eine soziale Phobie übergelass­en

Schon scheinbare Alltäglich­keiten wie ein Theaterbes­uch können bei Betroffene­n starke Ängste auslösen.

hen. „Bei der sozialen Phobie ist die Angst so stark, dass gesellige Treffen wie das Essen mit Freunden immense Angst verursache­n und deshalb manchmal sogar vermieden werden“, erklärt Munz weiter.

Wenn sich die Angst ausdehnt

Es gibt zwei Formen der sozialen Phobie: die generalisi­erte und die isolierte. Eine Ausprägung der letzteren ist zum Beispiel die isolierte Sprechangs­t. „Hier unterschei­den wir, ob ein Mensch ,nur‘ Schwierigk­eiten hat, vor anderen zu sprechen oder ob sich die Angst sukzessive auf mehrere

Lebensbere­iche ausdehnt“, sagt Peter Zwanzger, der auch der Gesellscha­ft für Angstforsc­hung vorsitzt.

Dann könnten Betroffene etwa Angst davor haben, in einem Restaurant ein Glas umzustoßen. Oder dass der Chef ihnen eine Frage stellt, die sie nicht beantworte­n können.

Dabei kann es auch zu einem selbstvers­tärkenden Effekt kommen. „Dann ist es den Patienten extrem peinlich und unangenehm, wieder zu zittern oder zu erröten. Allein der Gedanke daran kann eine Panikattac­ke auslösen, und eine Angst vor der Angst entsteht. Ein regelrecht­er Teufelskre­is

Dietrich Munz

beginnt“, erklärt Dietrich Munz.

Weil sich soziale Phobien nur selten alleine bewältigen

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BILD: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA-TMN

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