Nordwest-Zeitung

Ärztekamme­r-Chef rechtferti­gt Polizeiein­satz bei Corona-Verstößen

Das sagt Dr. Klaus Reinhardt zu steigenden Infektions­zahlen und dem Zustand des deutschen Gesundheit­ssystems

- Von Andreas Herholz, Büro Berlin

Herr Reinhardt, die Zahl der Corona-Infektione­n in Deutschlan­d ist wieder deutlich angestiege­n. Wie ernst ist diese Entwicklun­g aus Ihrer Sicht? Reinhardt: Wir haben noch längst nicht die Infektions­dynamik aus dem Frühjahr erreicht. Aber die Zahlen gehen nach oben und das müssen wir natürlich sehr ernst nehmen. Wenn ich mir die steigenden Neuinfekti­onen in Teilen Berlins und anderen Großstädte­n ansehe, halte ich es für sehr angemessen, dass Polizei und Ordnungsäm­ter gegen illegale Partys und Verstöße gegen Infektions­schutzaufl­agen vorgehen. Und natürlich müssen die vielen einzelnen Ausbrüche im Land eingedämmt werden. Wenn wir Infektions­cluster konsequent isolieren und Infektions­ketten schnell unterbrech­en, bleibt

die Situation unter Kontrolle.

Im Herbst und Winter droht ein weiterer Anstieg der Infektione­n. Dazu kommen Grippeerkr­ankungen. Ist das Gesundheit­ssystem auf diese Belastunge­n ausreichen­d vorbereite­t?

Reinhardt: Ja, die Praxen bereiten sich auf die Erkältungs­saison vor, zum Beispiel durch geänderte Abläufe, durch separate Warteberei­che, Möglichkei­ten der Fernbehand­lung und gesonderte Sprechstun­denzeiten für Atemwegser­krankte. Ich gehe davon aus, dass in diesem Winter noch mehr Menschen als sonst einen Arzt konsultier­en, weil viele Patienten Erkältungs­symptome auch auf eine mögliche Corona-Infektion abklären lassen wollen.

Es ist gut, dass sich Bund und Länder unserem Vorschlag für einen vermehrten Einsatz von Corona-Schnell

tests angeschlos­sen haben. Sie liefern schon nach etwa einer Stunde ein Ergebnis. Ärzte können Patienten so direkt in den Praxen oder in Teststatio­nen beraten und entspreche­nden Quarantäne­maßnahmen veranlasse­n. Gerade in der Erkältungs­zeit

Dr. Klaus Reinhardt wurde am 30. Mai 2019 zum Präsidente­n der Bundesärzt­ekammer gewählt. In dieser gehört der Mediziner seit 2015 dem Vorstand an. Seit dem Jahr 2006 ist er Vertreter in der Deutschen Akademie für Allgemeinm­edizin.

Der 60-Jährige ist Facharzt für Allgemeinm­edizin. Er wurde in Bonn geboren. Sein Medizinstu­dium hat Klaus Reinhardt im italienisc­hen Padua absolviert. sollten aber Reihentest­ungen und Screenings systematis­ch aus den Praxen herausgeha­lten und auf spezielle Testzentre­n konzentrie­rt werden. Es gibt Kritik an unterschie­dlichen Quarantäne­regeln der Bundesländ­er im Inland. Wie sinnvoll sind diese Vorschrift­en? Sollte es nicht einheitlic­he Bestimmung­en geben? Reinhardt: Bund und Länder haben sich in ihrer Schaltkonf­erenz in der vergangene­n Woche auf ein stärker abgestimmt­es Vorgehen in der Corona-Prävention verständig­t. Das war gut und richtig. Allerdings hat es nur wenige Tage gedauert, bis die ersten Bundesländ­er eigene Quarantäne­regelungen für den innerdeuts­chen Reiseverke­hr aufgestell­t haben. Das führt natürlich zu Verunsiche­rung bei vielen Menschen, auch weil viele Fragen der praktische­n Umsetzung noch völlig offen sind.

Solche Bestimmung­en zu erlassen, ist das eine, sie praktisch umzusetzen, etwas ganz anderes. Auch wenn wir lokal handeln müssen, ist es doch wichtig, dass Bund und Länder auch bei solchen Fragen zu einem abgestimmt­en Vorgehen kommen und die beschlosse­nen Regelungen für alle verständli­ch kommunizie­ren. Im Übrigen sollten wir auch Klarheit bei den verwendete­n Begrifflic­hkeiten schaffen. Wann zum Beispiel sprechen wir von einem Ausbruch? Hier brauchen wir präzise und für alle verbindlic­he Definition­en.

Wenn sich in Hamm bei einer Feier 30 Menschen infizieren, dann müssen natürlich die Infektions­ketten schnellstm­öglich unterbroch­en werden. Dann muss man für dieses lokale Geschehen angemessen­e Konsequenz­en ziehen, nicht aber einen Großraum unter Lockdown-ähnlichen Zuständen schließen. Die Angemessen­heit der Mittel ist der Schlüssel zur Akzeptanz in der Bevölkerun­g. Und die ist letztlich entscheide­nd für die wirksame Bekämpfung der Pandemie.

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Dpa-BILD: Kumm Ärztekamme­r-Chef Dr. Klaus Reinhardt

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