Ärztekammer-Chef rechtfertigt Polizeieinsatz bei Corona-Verstößen
Das sagt Dr. Klaus Reinhardt zu steigenden Infektionszahlen und dem Zustand des deutschen Gesundheitssystems
Herr Reinhardt, die Zahl der Corona-Infektionen in Deutschland ist wieder deutlich angestiegen. Wie ernst ist diese Entwicklung aus Ihrer Sicht? Reinhardt: Wir haben noch längst nicht die Infektionsdynamik aus dem Frühjahr erreicht. Aber die Zahlen gehen nach oben und das müssen wir natürlich sehr ernst nehmen. Wenn ich mir die steigenden Neuinfektionen in Teilen Berlins und anderen Großstädten ansehe, halte ich es für sehr angemessen, dass Polizei und Ordnungsämter gegen illegale Partys und Verstöße gegen Infektionsschutzauflagen vorgehen. Und natürlich müssen die vielen einzelnen Ausbrüche im Land eingedämmt werden. Wenn wir Infektionscluster konsequent isolieren und Infektionsketten schnell unterbrechen, bleibt
die Situation unter Kontrolle.
Im Herbst und Winter droht ein weiterer Anstieg der Infektionen. Dazu kommen Grippeerkrankungen. Ist das Gesundheitssystem auf diese Belastungen ausreichend vorbereitet?
Reinhardt: Ja, die Praxen bereiten sich auf die Erkältungssaison vor, zum Beispiel durch geänderte Abläufe, durch separate Wartebereiche, Möglichkeiten der Fernbehandlung und gesonderte Sprechstundenzeiten für Atemwegserkrankte. Ich gehe davon aus, dass in diesem Winter noch mehr Menschen als sonst einen Arzt konsultieren, weil viele Patienten Erkältungssymptome auch auf eine mögliche Corona-Infektion abklären lassen wollen.
Es ist gut, dass sich Bund und Länder unserem Vorschlag für einen vermehrten Einsatz von Corona-Schnell
tests angeschlossen haben. Sie liefern schon nach etwa einer Stunde ein Ergebnis. Ärzte können Patienten so direkt in den Praxen oder in Teststationen beraten und entsprechenden Quarantänemaßnahmen veranlassen. Gerade in der Erkältungszeit
Dr. Klaus Reinhardt wurde am 30. Mai 2019 zum Präsidenten der Bundesärztekammer gewählt. In dieser gehört der Mediziner seit 2015 dem Vorstand an. Seit dem Jahr 2006 ist er Vertreter in der Deutschen Akademie für Allgemeinmedizin.
Der 60-Jährige ist Facharzt für Allgemeinmedizin. Er wurde in Bonn geboren. Sein Medizinstudium hat Klaus Reinhardt im italienischen Padua absolviert. sollten aber Reihentestungen und Screenings systematisch aus den Praxen herausgehalten und auf spezielle Testzentren konzentriert werden. Es gibt Kritik an unterschiedlichen Quarantäneregeln der Bundesländer im Inland. Wie sinnvoll sind diese Vorschriften? Sollte es nicht einheitliche Bestimmungen geben? Reinhardt: Bund und Länder haben sich in ihrer Schaltkonferenz in der vergangenen Woche auf ein stärker abgestimmtes Vorgehen in der Corona-Prävention verständigt. Das war gut und richtig. Allerdings hat es nur wenige Tage gedauert, bis die ersten Bundesländer eigene Quarantäneregelungen für den innerdeutschen Reiseverkehr aufgestellt haben. Das führt natürlich zu Verunsicherung bei vielen Menschen, auch weil viele Fragen der praktischen Umsetzung noch völlig offen sind.
Solche Bestimmungen zu erlassen, ist das eine, sie praktisch umzusetzen, etwas ganz anderes. Auch wenn wir lokal handeln müssen, ist es doch wichtig, dass Bund und Länder auch bei solchen Fragen zu einem abgestimmten Vorgehen kommen und die beschlossenen Regelungen für alle verständlich kommunizieren. Im Übrigen sollten wir auch Klarheit bei den verwendeten Begrifflichkeiten schaffen. Wann zum Beispiel sprechen wir von einem Ausbruch? Hier brauchen wir präzise und für alle verbindliche Definitionen.
Wenn sich in Hamm bei einer Feier 30 Menschen infizieren, dann müssen natürlich die Infektionsketten schnellstmöglich unterbrochen werden. Dann muss man für dieses lokale Geschehen angemessene Konsequenzen ziehen, nicht aber einen Großraum unter Lockdown-ähnlichen Zuständen schließen. Die Angemessenheit der Mittel ist der Schlüssel zur Akzeptanz in der Bevölkerung. Und die ist letztlich entscheidend für die wirksame Bekämpfung der Pandemie.