Nordwest-Zeitung

Annäherung noch in der Schwebe

Warum die EU die Ukraine enger an sich binden will – Präsident Selenskyj in Brüssel

- Von Jan Petermann Und Andreas Stein

Brüssel/Kiew – Es ist der erste „echte“Gipfel mit persönlich­em Treffen statt Videokonfe­renz, den die EU seit Beginn der Corona-Krise mit einem Staatschef abhält. Beim Besuch des ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj schweben aber noch andere bedrohlich­e Themen über den Teilnehmer­n. Der Konflikt im Nachbarlan­d Belarus wird nach der eigenen blutigen Geschichte prowestlic­her Proteste auch in Kiew genau beobachtet. Und beim eingeschla­genen Westkurs müssen Ukraine, EU und Nato vorsichtig gegenüber Russland sein.

Die aktuelle Lage im Überblick:

Warum will Kiew eine ? stärkere West-Ausrichtun­g

Schon länger strebt die riesige Ex-Sowjetrepu­blik außenpolit­isch nach Westen. Vor allem junge und liberale Ukrainer befürworte­n das. Doch An

hänger Russlands und der Kreml lehnen diese Orientieru­ng strikt ab. Seit 2014 kämpfen Regierungs­einheiten im Bergbaurev­ier Donbass gegen von Moskau unterstütz­te Separatist­en. Laut UN-Schätzunge­n starben mehr als 13 000 Menschen. Russland besetzte nach einem prowestlic­hen Regierungs­sturz die völkerrech­tlich zur Ukraine gehörende Krim.

Die humanitäre Lage in den russisch kontrollie­rten Gebieten

habe sich jüngst zugespitzt, berichten EU-Diplomaten besorgt: „Wir möchten von Herrn Selenskyj wissen, wie er die Situation vor Ort sieht.“

Ein 2015 unter deutschfra­nzösischer Vermittlun­g vereinbart­er Friedenspl­an – das Minsker Abkommen – ist nur ansatzweis­e umgesetzt. Doch der 2019 gewählte Selenskyj hält am Westkurs seines Vorgängers Petro Poroschenk­o fest, mit Mitgliedsc­haft in EU und Nato.

Was hat die Lage in Belarus ? mit der Ukraine zu tun

Bei den „Euromaidan“-Protesten 2013/2014 waren Sicherheit­skräfte in Kiew massiv gegen Demonstran­ten vorgegange­n. Es gab Dutzende Tote. Auslöser war der Beschluss des russlandfr­eundlichen Präsidente­n Viktor Janukowits­ch, ein Assoziieru­ngsabkomme­n mit der EU nicht zu unterzeich­nen. Die Lage im benachbart­en Belarus erinnert so manchen an die damaligen Vorgänge. Das Regime von Präsident Alexander Lukaschenk­o soll bei der Wahl am 9. August Ergebnisse manipulier­t haben. Die EU will eine „zweite Ukraine“im Sinne eines langen Konflikts unbedingt verhindern.

Wie ist der Stand ? zwischen Ukraine und EU

Offiziell stehen in Brüssel die nächsten Schritte zur Umsetzung des Assoziieru­ngsabkomme­ns und Vertiefung des Freihandel­s auf der Agenda.

Seit dem Inkrafttre­ten im Januar 2016 habe es einen Zuwachs des bilaterale­n Handels um 65 Prozent gegeben, so die EU-Seite. „Wegen Corona haben wir derzeit nicht den positiven Effekt, den wir erhofft haben.“Über Wirtschaft­skontakte und Handelsvor­teile versucht die EU, befreundet­e Nichtmitgl­ieder an sich heranzufüh­ren, der Außenbeauf­tragte Josep Borrell hatte die Ukraine kürzlich besucht.

Wie kommen die Reformen ? in der Ukraine voran

Nach Vorstellun­gen der EU muss die Führung in Kiew Verwaltung und Justiz noch mehr modernisie­ren. Die Ukraine soll rechtsstaa­tliche Verfahren und eine effektiver­e Korruption­sbekämpfun­g sicherstel­len – Bedingunge­n, welche die EU auch anderen assoziiert­en Ländern stellt. Die von Kiew anvisierte­n Beitrittsv­erhandlung­en erfordern die Umsetzung einer langen Liste an Kriterien – unter anderem lässt laut EU die Medienviel­falt noch zu wünschen übrig.

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Ap-BILD: Pareggiani Auf Verhandlun­gskurs: Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, spricht im Europa-Gebäude.

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