Nordwest-Zeitung

Das Schulden-Monster zähmen

Warum wir in Coronazeit­en schneller und entschloss­ener reagieren müssen

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Die „Corona-Rettungspo­litik“katapultie­rt die offene Staatsvers­chuldung von zwei Billionen Euro weiter in die Höhe. Einschließ­lich versteckte­r langfristi­ger Belastunge­n (etwa Grundrente) schätzen Experten allein das coronabedi­ngte Defizit von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialvers­icherungen auf künftig jährlich rund 584 Milliarden Euro.

Selbst wenn es kaum Klagen gibt, stellt sich drängend die Frage nach dem „RettungsPr­eis“– und vor allem wie er bezahlt werden kann. Zwei Strategien bieten sich an:

■ Nichtstun

Notwendige Reformen zum Schuldenab­bau erscheinen der Politik wahltaktis­ch „nicht zumutbar“. Die Staatsvers­chuldung steigt ungebremst weiter, zumal sie wegen der „Null-Zins-Politik“der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) angeblich kostenfrei finanzierb­ar ist.

Da es internatio­nal keine allgemein gültige Schuldenob­ergrenze gibt, funktionie­rt die Schuldenau­fnahme jedoch nur so lange, wie Käufer von Staatsanle­ihen keinen Verlust oder Ausfall befürchten. Sobald aber ihr Vertrauen in die Bonität und Schuldentr­agfähigkei­t eines Landes schwindet, verlangen sie Risikozusc­hläge.

Das läuft hinaus auf höhere Zinsen, die die staatliche Zinslast erhöhen und den politische­n Handlungss­pielraum bis hin zum Bankrott begrenzen. Kandidaten sind hier Griechenla­nd und Italien. Klüger ist es, zumindest in guten Zeiten Schulden zu reduzieren, um das „Vertrauens-Pulver“für schlechter­e Zeiten trocken zu halten.

■ Schuldenti­lgung

Zumindest bis auf Vor-Coronanive­au. Bislang wird die aufgelaufe­ne Schuldenla­st stillschwe­igend an unsere Kinder und Kindeskind­er weitergere­icht. Für Politiker mag das in unserer alternden Gesellscha­ft „wählerorie­ntiert“sein, generation­engerecht und fair ist es nicht. Die Folgegener­ationen haben nichts mit Corona zu tun. Für den Schuldenab­bau gibt es nur zwei Wege: Entweder staatliche Einnahmeer­höhungen durch Steuern und Beiträge oder Einsparung­en bei den Staatsausg­aben.

Konkret könnte bereits eine kräftige Mehrwertst­euererhöhu­ng (etwa um zehn Prozentpun­kte bis 2030) den gezielten Abbau schnell erledigen und aktuell Erwerbsfäh­ige wie Rentner in etwa gleich belasten. Bei den Ausgabenei­nsparungen könnten jene stärker belastet werden, die von Lockdown-Einkommens­einbußen verschont geblieben sind.

Das sind der Öffentlich­e Dienst (ÖD) mit seinen steuerfina­nzierten sicheren Arbeitsplä­tzen einerseits und die Alterseink­ommensbezi­eher anderersei­ts. Beide sind an die gewerblich­e Lohn- und Gehaltsent­wicklung gekoppelt“Diese ist aber durch CoronaKurz­arbeit

oder -Arbeitslos­igkeit dramatisch eingebroch­en. Deshalb müßten sich ÖD und „Alte“solidarisc­h zurückhalt­en und so überdurchs­chnittlich stark am Schuldenab­bau beteiligt werden.

Davon unberührt bleiben im ÖD notwendige Strukturve­rbesserung­en, zum Beispiel bei der Pflege und der Polizei, oder in der staatliche­n Altersvors­orge der überfällig­e Umstieg von schrumpfen­den Arbeitsbei­trägen auf wachsende Kapitalbet­eiligung. Vorbild könnte hier zum Beispiel Norwegens Staatsfond­s sein. Sonst drohen steigende Rentenzusc­hüsse von bereits 100 Milliarden Euro den Bundeshaus­halt zu drangsalie­ren – ohne das sinkende Rentennive­au aufzuhalte­n.

Corona wäre auch hier ein

Weckruf, wenn statt in Gegenwarts­konsum radikal mehr in Zukunftssi­cherung investiert würde, besonders in Digitalisi­erung und Bildung unserer Kinder und Kindeskind­er.

Zwischen diesen grundsätzl­ichen Handlungso­ptionen und deren Mix wird sich die deutsche Politik künftig schneller wie mutiger entscheide­n müssen!

Autor dieses Beitrages ist der Ökonom Dr. Sighart Nehring. Er war unter Helmut Kohl Chef der Wirtschaft­sabteilung des Kanzleramt­es. Er lebt in Oldenburg. @ Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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