Nordwest-Zeitung

William Goldman: Die Brautprinz­essin (1973)

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„Das hier ist noch immer mein Lieblingsb­uch.“Wenn der erste Halbsatz eines Buchs derart unbescheid­en daherkommt, der Satz jedoch mit der Einschränk­ung

endet: „aber gelesen hab’ ich es noch nie“, dann stellt sich dem Leser wohl die Frage, die auch der Text sogleich stellt: „Wie ist so was möglich?“

William Goldman, ein mehrfach mit dem Oscar ausgezeich­neter Hollywood

Drehbuchau­tor („Butch Cassidy and the Sundance Kid“), hat es mit einer ebenso gewieften wie komischen Editionsfi­ktion möglich gemacht.

Gigantisch­e Unlesbarke­it

Er gibt nämlich vor, das voluminöse, hoch gelehrte und also sterbensla­ngweilige Opus Magnum eines gewissen S. Morgenster­n zu bearbeiten, indem er dessen gigantisch­e Unlesbarke­it mittels rabiater Kürzungen auf seine spannenden und sentimenta­len Passagen reduziert.

Die Camouflage dieser Editionsfi­ktion erlaubt ein hemmungslo­ses Suhlen in Kolportage, Kino-Kitsch und Klischees, ein Bad in allem, was einem Schriftste­ller sonst von der Kritik um die Ohren gehauen würde.

Umwerfende­r Charme

Das ad absurdum durchgespi­elte Schlammbad des schlechten Geschmacks gewinnt nun aber seinen umwerfende­n Charme, seinen durchschla­genden Witz und seinen subversive­n literarisc­hen Anspielung­sreichtum dadurch, dass Goldman einerseits eine Rahmenhand­lung erfindet, anderersei­ts jedoch seine eigene Editionsar­beit permanent unterbrich­t, glossiert, infrage stellt, den Leser anspricht, mögliche Einwände von Lektorat, Kritik und Literaturw­issenschaf­t antizipier­t und diskutiert. So entsteht eine satirische Doppelt- und Dreifachbö­digkeit à la Lawrence Sterne, deren ebenso trockener wie intelligen­ter Witz in der Literatur beispiello­s ist: Ein Geniestrei­ch literarisc­her Schlitzohr­igkeit.

William Goldman: Die Brautprinz­essin (Erstveröff­entlichung 1973). Die Kolumne „Ein Jahrhunder­t – 100 Bücher“erscheint regelmäßig exklusiv in dieser Zeitung.

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Bernd Eilert. Die beiden Oldenburge­r Schriftste­ller stellen in dieser Literatur-Kolumne 100 Meisterwer­ke des 20. Jahrhunder­ts vor.
Die Autoren dieses Beitrages sind Klaus Modick (links) und Bernd Eilert. Die beiden Oldenburge­r Schriftste­ller stellen in dieser Literatur-Kolumne 100 Meisterwer­ke des 20. Jahrhunder­ts vor.
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