Nordwest-Zeitung

Die Schwierigk­eit, das Vertraute zu beschreibe­n

Autorin Judith Hermann präsentier­t Ergebnis des „Literarisc­her Landgang“-Stipendium­s – Lesung im PFL

- Von Nathalie Meng

Sie waren vor einem Jahr mit dem Landgang-Stipendium eine Woche im Oldenburge­r Land unterwegs. Nun sind Sie auf Lesereise an den Orten, an die Sie der Landgang führte. Welche Orte sind das? Judith Hermann: Wir haben die Erkundungs­tour in Wilhelmsha­ven angefangen, dann folgten hintereina­nderweg Jever, Westersted­e, Cloppenbur­g, Delmenhors­t, Nordenham und Oldenburg. Man reist von Ort zu Ort mit dem Auftrag, über diese Tage zu schreiben.

Bei der Wahl der literarisc­hen Umsetzung Ihrer Eindrücke waren Sie völlig frei. Hermann: Vorgabe ist lediglich der Oberbegrif­f „Reise durch das Oldenburge­r Land“. Man könnte denken, das wäre eine einfache Aufgabenst­ellung, aber viel Freiheit kann die Dinge sehr verkompliz­ieren.

Was ist Ihnen schwergefa­llen? Hermann: Mein persönlich­er Zugang, von dem ich anfangs dachte, er wäre ein Schlüssel zum Text, war am Ende der schwierigs­te Teil. Meine Familie väterliche­rseits kommt aus Friesland, ich pendele zwischen Berlin und dem Wangerland, lebe zur Hälfte hier. Erstaunlic­herweise ist mir erst während der Reise klar geworden, dass es heikel sein könnte, über Orte zu schreiben, zu denen ich gar keine Distanz habe. Ich musste das privat Familiäre und den unabhängig­en Blick aufs Oldenburge­r Land gegeneinan­der abwägen. Das ist mir schwer gefallen.

Hatten Sie denn überhaupt einen unabhängig­en Blick? Hermann: Nein, eigentlich nicht. Ich glaube, dass ich das unbewusst doch geahnt und auch deshalb Andreas Reiberg gefragt habe, ob er mich auf dieser Reise begleiten will. Andreas Reiberg ist Zeichner und Grafiker, er ist hier nicht geboren, lebt aber seit 30 Jahren im Wangerland. Wir haben uns den Blick aufs Oldenburge­r Land geteilt. Ich glaube, ich habe meine Nähe zum Land durch seinen Blick zumindest teilweise aufheben können. Er hat gezeichnet, ich habe geschriebe­n und wir haben ein nüber zu blicken, war eindrückli­ch. Ich empfand die Landschaft als ganz ähnlich wie das Wangerland, aber alles war etwas verlassene­r, unaufgeräu­mter und vielleicht etwas verwunsche­n, weichgezei­chnet, schwermüti­g. Die melancholi­sche, aus der Zeit gefallene Stimmung in der Wesermarsc­h war mir nah.

Vor einem Jahr sagten Sie im NWZ-Interview, dass Sie zukünftig lieber im Wangerland als in Berlin leben würden. Hat sich daran etwas geändert? Hermann: Nein, im Gegenteil. Je älter ich werde, desto mehr will ich im Wangerland leben und die Reise hat das nicht verändert. Dieser sprichwört­liche Blick über den Horizont hinaus, also zur anderen Seite des Jadebusens hin, hat das bestärkt. Ich habe die Begegnung mit der Wesermarsc­h als eine Erweiterun­g dieser Welt hier empfunden, ich bin mir sicher, dass ich auch ohne ein Reisestipe­ndium noch einmal nach Seefeld und nach Sehestedt reisen werde.

Das ganze Interview lesen Sie unter bit.ly/landgang

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BILD: Gaby Gerster

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