Die Schwierigkeit, das Vertraute zu beschreiben
Autorin Judith Hermann präsentiert Ergebnis des „Literarischer Landgang“-Stipendiums – Lesung im PFL
Sie waren vor einem Jahr mit dem Landgang-Stipendium eine Woche im Oldenburger Land unterwegs. Nun sind Sie auf Lesereise an den Orten, an die Sie der Landgang führte. Welche Orte sind das? Judith Hermann: Wir haben die Erkundungstour in Wilhelmshaven angefangen, dann folgten hintereinanderweg Jever, Westerstede, Cloppenburg, Delmenhorst, Nordenham und Oldenburg. Man reist von Ort zu Ort mit dem Auftrag, über diese Tage zu schreiben.
Bei der Wahl der literarischen Umsetzung Ihrer Eindrücke waren Sie völlig frei. Hermann: Vorgabe ist lediglich der Oberbegriff „Reise durch das Oldenburger Land“. Man könnte denken, das wäre eine einfache Aufgabenstellung, aber viel Freiheit kann die Dinge sehr verkomplizieren.
Was ist Ihnen schwergefallen? Hermann: Mein persönlicher Zugang, von dem ich anfangs dachte, er wäre ein Schlüssel zum Text, war am Ende der schwierigste Teil. Meine Familie väterlicherseits kommt aus Friesland, ich pendele zwischen Berlin und dem Wangerland, lebe zur Hälfte hier. Erstaunlicherweise ist mir erst während der Reise klar geworden, dass es heikel sein könnte, über Orte zu schreiben, zu denen ich gar keine Distanz habe. Ich musste das privat Familiäre und den unabhängigen Blick aufs Oldenburger Land gegeneinander abwägen. Das ist mir schwer gefallen.
Hatten Sie denn überhaupt einen unabhängigen Blick? Hermann: Nein, eigentlich nicht. Ich glaube, dass ich das unbewusst doch geahnt und auch deshalb Andreas Reiberg gefragt habe, ob er mich auf dieser Reise begleiten will. Andreas Reiberg ist Zeichner und Grafiker, er ist hier nicht geboren, lebt aber seit 30 Jahren im Wangerland. Wir haben uns den Blick aufs Oldenburger Land geteilt. Ich glaube, ich habe meine Nähe zum Land durch seinen Blick zumindest teilweise aufheben können. Er hat gezeichnet, ich habe geschrieben und wir haben ein nüber zu blicken, war eindrücklich. Ich empfand die Landschaft als ganz ähnlich wie das Wangerland, aber alles war etwas verlassener, unaufgeräumter und vielleicht etwas verwunschen, weichgezeichnet, schwermütig. Die melancholische, aus der Zeit gefallene Stimmung in der Wesermarsch war mir nah.
Vor einem Jahr sagten Sie im NWZ-Interview, dass Sie zukünftig lieber im Wangerland als in Berlin leben würden. Hat sich daran etwas geändert? Hermann: Nein, im Gegenteil. Je älter ich werde, desto mehr will ich im Wangerland leben und die Reise hat das nicht verändert. Dieser sprichwörtliche Blick über den Horizont hinaus, also zur anderen Seite des Jadebusens hin, hat das bestärkt. Ich habe die Begegnung mit der Wesermarsch als eine Erweiterung dieser Welt hier empfunden, ich bin mir sicher, dass ich auch ohne ein Reisestipendium noch einmal nach Seefeld und nach Sehestedt reisen werde.
Das ganze Interview lesen Sie unter bit.ly/landgang