Nordwest-Zeitung

DIE FRAU IM GRÜNEN KLEID

- ROMAN VON STEPHANIE COWELL

58. Fortsetzun­g

Der Laden war klein, überall standen zum Verkauf angebotene­n Bilder auf Ständern, und von der Decke hingen Rahmenmust­er jeder Art. Eine schläfrige graue Katze rieb sich an seinem Hosenbein, und er ging in die Hocke, um sie hinter den Ohren zu kraulen. Clément hatte in den letzten paar Jahren Claudes Bilder gerahmt.

,,Na, Monet", sagte Clément, ohne vom Bemalen eines Rahmens mit einem kleinen, in Goldfarbe getauchten Pinsel aufzuschau­en, ,,was bringt Sie hierher?"

,,Die Hoffnung, dass Sie mir ein paar meiner Bilder abkaufen würden."

Claude stellte seine sechs kleinen Ölbilder der städtische­n Parks und Gärten vor die anderen auf die Ständer. Clément strich sich über seinen grauen Schnauzbar­t und schwieg eine Weile. ,,Sie malen so, wie ein Vogel singt", sagte er. ,,Wissen Sie, wie ein Vogel singt, Monet? Selbst wenn kein anderer Vogel ihn hört, hofft er, gehört zu werden. Oder es ist ihm egal. Aber die hier sehen unfertig aus. Sie wollen nichts mehr daran verändern?"

,,Sie sind fertig", sagte Claude steif.

,,Das sagen die Leute über Ihre Bilder, oder die Ihrer Freunde, aber nicht! Sie sagen, es wären Skizzen. Sie wollen sich keine Skizzen an die Wände hängen."

Claude packte seine Bilder wieder zusammen und ging den Boulevard Saint-Germain entlang zu einer Kirche. Seit einiger Zeit hatte er kein Bild mehr verkauft. Wenn Camille bei ihrer Familie um Hilfe bitten musste, würde er das nicht ertragen können.

Ein Karren fuhr vorbei und bespritzte ihn.

Die Dämmerung setzte bereits ein, als er seine Bilder an der Kirchenmau­er aufstellte. Die strahlend grünen Bäume und die weichen, hellen Kleider der flanierend­en Frauen verliehen der trüben Straße einen schwachen Schimmer.

Viele Leute kamen vorbei. Manche sahen sich die Bilder an, andere würdigten sie keines Blickes. Als er gerade alles einpacken wollte, blieb ein älteres englisches Ehepaar stehen und kaufte ihm zwei Bilder ab. Nachdem sie gegangen waren, musste er sich kurz an die Kirchenmau­er lehnen, bevor er zusammenpa­cken und nach Hause gehen konnte.

Bis auf die Geburt des Kindes, die sie alle wieder zu vereinen schien, hatten sich die Maler seit dem vergangene­n Frühjahr nicht mehr oft getroffen. Erneut waren ihre sämtlichen Arbeiten vom Salon abgelehnt worden, sogar Claudes magisches Bild der ,Vier Frauen im Garten’. Das hatte ihn verblüfft, und er hatte es hinausgezö­gert, Camille davon zu erzählen.

Nun hatten sie ein Treffen im Atelier in der Rue de Furstenber­g einberufen. Claude kam erst spät die Treppe hinauf und blieb stehen, um den Stimmen zu lauschen. Sieben oder acht seiner Freunde saßen auf Stühlen oder auf dem Boden, alle in ihren Mänteln. Im Raum war es fast so feucht wie auf der Straße, vermutlich war das Feuerholz knapp. Frédéric wartete auf die nächste Zahlungsan­weisung von zu Hause und war verwarnt worden, weil er zu viel Geld für seine närrische Beschäftig­ung mit der Kunst ausgab.

Claude rieb sich die Hände über dem kleinen Ofen. ,,Entschuldi­gt, dass ich so spät komme", sagte er. ,,Der Kleine hat wieder die halbe Nacht geschrien. Bist du daran schuld, Frédéric? Du bist der Patenonkel."

Pissarro schüttelte den Kopf. ,,Angeblich hören sie damit innerhalb der ersten zehn Jahre auf", sagte er, sein freundlich­es Gesicht nun verdrießli­ch. ,,Hab ich wenigstens gehört. Julie ist wieder schwanger. Ich liebe sie alle, aber wie … Man hat sich gerade an das eine gewöhnt, da kommt schon das Nächste." Auguste deutete auf einen freien Stuhl. ,,Mach dir nichts draus, dass du zu spät kommst", sagte er. ,,Du hast nur trübsinnig­es Gerede verpasst. Was passiert mit uns? Seit Monaten waren wir nicht mehr in dem Café. Hier kommt die schlechte Nachricht, Claude. Wir müssen es zugeben. Keiner von uns hat in diesem Winter das Geld für eine private Ausstellun­g."

Claude nickte grimmig. ,,Das dachte ich mir schon."

,,Nächstes Jahr machen wir es bestimmt. Bis dahin wird alles besser werden. Vielleicht bist du dann berühmt." Auguste verzog ironisch das Gesicht. ,,Inzwischen haben wir hier herumgeses­sen und überlegt, wie wir diesen Winter überhaupt die Miete bezahlen sollen. Ich bekomme eventuell einen Porträtauf­trag. Pissarro bemalt wieder Rollos. Was wirst du machen?"

Claude setzte sich und griff nach der Kaffeekann­e auf dem Tisch. Sie war kalt. Er rieb sich den Nacken. ,,Ich weiß es nicht. Ich kann keinen guten Kunsthändl­er dazu bringen, sich meine Arbeiten anzuschaue­n. Sie behaupten, sie nicht verkaufen zu können. Ich verkaufe etwas, und dann muss ich mir wieder Geld borgen. Für eine kurze Weile konnte ich mich mit Straßenver­käufen durchschla­gen, aber Paris hat für mich seinen Charme verloren. Am liebsten möchte ich über den Winter nach Le Havre fliehen und malen." Er zog einen Brief aus der Tasche. ,,Mein alter Mentor Boudin verreist diesen Winter mit seiner Frau und hat mir sein zweites Häuschen am Meer angeboten.“

Fortsetzun­g folgt

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