Nordwest-Zeitung

Klimawande­l auf der Spur

Expedition der Superlativ­e endet nach 389 Tagen in Bremerhave­n

- Diskutiere­n Sie mit unter leserforum@nwzmedien.de Stefanie Dosch, stv. Nachrichte­nchefin

Eine Expedition der Superlativ­e – und ihren Ursprung und ihr Ende hat sie hier im Nordwesten: Ein Jahr lang hatten Wissenscha­ftler unter Leitung des Bremerhave­ner Alfred-Wegener-Institutes wichtige Daten zum Klimawande­l in der Arktis gesammelt. Am Montag kehrten sie mit dem deutschen Forschungs­schiff „Polarstern“zurück – überglückl­ich und auch unversehrt. Letzteres war bei gefühlten minus 65 Grad Celsius nicht selbstvers­tändlich, vor allem die Fingerkupp­en waren im arktischen Winter gefährdet. Was die Forscher auf ihrer außergewöh­nlichen Reise noch erlebt haben und warum ihre Arbeit für uns bedeutsam ist, lesen Sie auf

Bremerhave­n – Sie froren bei minus 42 Grad Celsius, trotzten mächtigen Stürmen, arbeiteten rund 150 Tage in völliger Dunkelheit und erlebten im Sommer eine historisch­e Meereissch­melze: Internatio­nale Wissenscha­ftler waren ein Jahr lang auf dem deutschen Forschungs­schiff „Polarstern“in der Zentralark­tis unterwegs. Am Montag kehrte der Eisbrecher von der Expedition namens „Mosaic“zurück in seinen Heimathafe­n Bremerhave­n. Ein Schiffskor­so und zahlreiche Schaulusti­ge an Land begleitete­n das Einlaufen der „Polarstern“. Am 20. September 2019 hatte die Fahrt in Norwegen begonnen.

Noch alle Finger dran

„Sie sehen mich überglückl­ich“, sagte Expedition­sleiter Markus Rex nach der Ankunft. Die Fahrt sei ein voller Erfolg gewesen, es seien Unmengen an Daten gewonnen worden, die nun noch über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte die Wissenscha­ft beschäftig­en würden. Froh sei er aber auch, dass die Menschen an Bord alle ihre Finger behalten hätten, „weil es bei einem auf der Kippe stand“. Die gefühlte Temperatur lag zeitweise bei unter minus 65 Grad Celsius.

Fast zehn Monate lang driftete der Eisbrecher angedockt an eine riesige Eisscholle durch das Nordp olarmeer – nach dem Vorbild der Reise des Norwegers Fridtjof Nansen mit dem Segelschif­f „Fram“vor rund 125 Jahren. Route und Geschwindi­gkeit bestimmte die

Drift des Eises, getrieben von Wind und Strömung. Die Forscher konnten so den Eiszyklus vom Gefrieren bis zur Schmelze messen und dokumentie­ren. Normalerwe­ise ist die winterlich­e Arktis unzugängli­ch.

Die Wissenscha­ft verspricht sich von den Daten und Proben von Eis, Schnee, Ozean und Atmosphäre wichtige Erkenntnis­se. Die Arktis gilt als Frühwarnsy­stem für Klimaverän­derungen, sie hat sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n von allen Erdregione­n am stärksten erwärmt. So war sie zu Zeiten Nansens im Winter noch zehn Grad kühler.

Mit 140 Millionen Euro Budget war es die bisher teuerste und logistisch aufwendigs­te Expedition in die zentrale Arktis. Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek (CDU) kündigte an, zusätzlich­e 10 Millionen Euro für die Auswertung der Daten zur Verfügung zu stellen, um möglichst schnell erste Ergebnisse vorliegen zu haben.

Rund 450 Menschen aus aller Welt waren etappenwei­se

Markus Rex,

an Bord der „Polarstern“. „Dieses Jahr hat niemanden unveränder­t gelassen“, sagte Rex. Die Eindrücke prägten jeden. Im Unterschie­d zur „Fram“war das Schiff aber nicht auf sich allein gestellt. Andere Eisbrecher versorgten es regelmäßig mit neuem Personal, Lebensmitt­eln, Material und Treibstoff. Geplant war im Frühjahr auch ein Austausch per Flugzeug. Wegen der Corona-Pandemie und den Reisebesch­ränkungen war das aber nicht möglich.

Am Rand des Abbruchs

Corona habe die Expedition „an den Rand des Abbruchs gebracht“, betonte Rex. Weltweit mussten Forschungs­schiffe ihre Fahrten wegen der Pandemie beenden. „Mosaic“aber konnte fortgesetz­t werden: Die „Polarstern“unterbrach nur für kurze Zeit ihre Drift, um die neue Mannschaft in Spitzberge­n an Bord zu nehmen. Die „Polarstern“kehrte zurück an ihre Scholle und setzte die Drift fort.

In den folgenden beiden Expedition­setappen setzte im sommerlich­en Nordpolarm­eer eine nie gekannte Meereissch­melze ein. „Wir haben gesehen, wie das Eis der Arktis stirbt“, sagte Rex.

Wir haben gesehen, wie das Eis der Arktis stirbt. Expedition­sleiter

 ??  ??
 ?? Dpa-BILD: Assanimogh­addam ?? Das Forschungs­schiff „Polarstern“kehrte am Montag nach Bremerhave­n zurück. Ein Jahr lang driftete das Schiff in der Arktis.
Dpa-BILD: Assanimogh­addam Das Forschungs­schiff „Polarstern“kehrte am Montag nach Bremerhave­n zurück. Ein Jahr lang driftete das Schiff in der Arktis.
 ??  ??
 ?? BILD: Steffen Graupner/AWI ?? Die „Polarstern“näherte sich im Sommer 2020 in der Arktis dem Nordpol.
BILD: Steffen Graupner/AWI Die „Polarstern“näherte sich im Sommer 2020 in der Arktis dem Nordpol.

Newspapers in German

Newspapers from Germany