„Geld allein hilft Pflegepersonal nicht“
So will Hospizleiter Andreas Wagner Arbeitsplätze in der Pflege attraktiver machen
Kurze Dienstplanbesprechung im Hospiz St. Peter Oldenburg. Wer nun an sterile Zimmer und eine kühle Atmosphäre denkt, liegt falsch. Die Mitarbeiterinnen und Leiter Andreas Wagner sind entspannt – auch in Corona-Zeiten. Wie das möglich ist und Arbeitsplätze in der Pflege attraktiver werden könnten, erklärt der 54-Jährige im Interview.
Zu Beginn der Pandemie haben viele Menschen für die Pflegekräfte geklatscht, doch der Applaus ist verebbt. Wie sehen Sie das?
Wagner: Ich denke, dass es viele Gründe gab, warum die Menschen geklatscht haben. Da waren sicherlich viele Leute dabei, die die Pflege schon immer wertgeschätzt haben. Andere sind einfach dem Trend gefolgt. Ich meine, dass das Ganze wenig Nachhall hat.
Aber es gibt doch die CoronaPrämie von 1500 Euro... Wagner: Das stimmt, auch ich habe diese Prämie an meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausgezahlt. Das ist ein Teil – mehr aber auch nicht. Wenn man Wertschätzung von pflegendem Personal über Entlohnung ausdrücken will, ist das zu kurz gedacht. 20 oder 30 Euro mehr pro Monat bringt den wenigsten etwas. Wir müssen auf eine tarifliche Bezahlung in Pflegeberufen hinaus, wobei die immer noch zu niedrig ist. Was ich meine: Eine abgehetzte Kranken- oder Altenpflegerin, die allein auf einer Station ist, braucht vor allem zusätzliche Kollegen. Die 20 Euro mehr sind dann ein nettes Plus. Man muss das große Ganze betrachten.
Wie können Berufe in der Pflege nun attraktiver werden? Wagner: Zunächst ist die Vorstellung, dass irgendwer – vielleicht die Politik – einen großen Schritt macht und danach die Pflege schlagartig attraktiv ist, unrealistisch. Er ist zwar wichtig, aber reicht nicht aus. Jeder im System hat Verantwortung und muss dazu beitragen, dass die Arbeitsbedingungen besser werden. Leitende bei der Frage, wie sie ihre Mitarbeitenden einbeziehen, Mitarbeitende, wie sie miteinander umgehen, und Auszubildende, was sie lernen und später anders machen wollen. Nicht zuletzt muss sich Gesellschaft überlegen, was ihr die „Pflege“Wert ist. Es geht um den Umgang miteinander, um Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Menschlichkeit und ist oft einfach eine Frage des gesunden Menschenverstands.
Wie setzen Sie diese Ideen im Hospiz St. Peter um? Wagner: Ich möchte mir und uns keine falschen Lorbeeren umhängen. Im Hospiz gibt es eine außergewöhnlich luxuriöse Situation. Diese ergibt sich aus der Bundesrahmenverordnung, die eine Mindestpersonalmenge für Hospize vorschreibt. Bei zwölf Bewohnern haben wir 16,4 Vollzeitstellen in der Pflege. Wir haben Zeit. Aber wir haben auch die Verantwortung, diese Zeit sinnvoll zu nutzen – und nicht Kaffee zu trinken.
Was ist dennoch anders? Wagner: Ich bin seit 1985 in der Krankenpflege unterwegs, habe bis 2012 in Krankenhäusern gearbeitet. Die Systeme dort sind eher hierarchisch. Ich habe ein anderes Leitungsverständnis, diskutiere den Weg zu einer Entscheidung gern im Team. Das ist oft anstrengend und kostet Zeit, aber es trägt dazu bei, dass viele neue Ideen entstehen und jeder gehört werden kann.
Trotzdem gibt es viele Zuwendungen, von denen woanders nur geträumt werden kann... Wagner: Das stimmt. Aber niemand arbeitet hier, weil wir nach Tarif bezahlen, es eine kirchliche Zusatzversicherung oder Hansefit-Mitgliedschaft gibt. Auch nicht, weil wir zwei Tage im Jahr Fortbildung schenken. Das ist alles nett, aber mehr ein Symbol der Anerkennung.
Die Mitarbeiter sind hier, weil wir Zeit haben, eine gute Stimmung herrscht und wir uns auf Augenhöhe begegnen – das ist das größte Fund.
Wie sind Sie und ihr Team also mit den Fragen rund um die Corona-Maßnahmen umgegangen – da mussten Entscheidungen getroffen werden... Wagner: Richtig, auch im Hospiz gibt es Kontaktbeschränkungen. Zunächst haben wir den Besuchern gesagt, die Kontakte auf ein angemessenes Maß zu reduzieren. Doch das hat bei den Mitarbeitern für Unruhe gesorgt, sie fühlten sich in der Schwebe. Also haben wir die Besucherzahlen auf zehn pro Bewohner limitiert. Den Sommer über lief das gut, aber jetzt steigen die Zahlen wieder. Aktuell ist die Zahl auf sieben reduziert, dabei können zur selben Zeit nur zwei Besucher im Zimmer sein. Wir navigieren uns da durch, weil der Gesetzgeber nichts Explizites zu Hospizen vorgibt. Es geht täglich darum hospizliche Haltung und Hygienemaßnahmen im Blick zu behalten und den richtigen Weg zu finden. Das fühlt sich derzeit nicht immer gut an.