Nordwest-Zeitung

DIE FRAU IM GRÜNEN KLEID

- ROMAN VON STEPHANIE COWELL

60. Fortsetzun­g

Victoire sprang neben ihr auf einen Stuhl, völlig außer sich vom Anblick der kreischend herabstürz­enden weißen Möwen.

Boudin hatte Sorge dafür getragen, dass ihnen die Frau eines einheimisc­hen Fischers, schon über fünfzig und mit abgearbeit­eten, dicken Händen, half. Sie hatte Fischsuppe für sie zubereitet. ,,Ich habe eine Wiege vom Dachboden geholt und sie gesäubert", sagte sie. ,,Sie war seit fünfzig Jahren nicht mehr in Gebrauch. Geben Sie mir den Kleinen. Hier sind frische Leintücher, Madame."

Sie aßen die Fischsuppe, und die Frau schaukelte das Kind.

,,Nehmen Sie Madame mit nach draußen, Monsieur", drängte die Frau freundlich. ,,Das Kind schläft bereits, und Madame sehnt sich danach, zum Meer hinunterzu­gehen. Wenn Sie ganz genau schauen, Madame, werden Sie glauben, England auf der anderen Seite des Wassers zu sehen."

Hand in Hand verließen sie das Häuschen. Das trockene Gras bog sich im Wind, und über ihnen kreischten Möwen. Ein leichter Wind zerrte an dem Schal, mit dem Camille ihr Haar bedeckte. Verstreute schwarze Felsen ragten bis ins Meer hinein. Claude kletterte auf einen hinauf und streckte Camille die Hand entgegen. ,,Komm ein Stück mit mir hinaus!", rief er. ,,Es ist rutschig. Halt dich an mir fest."

Langsam und vorsichtig bewegte sie sich an seiner Hand von Fels zu Fels ins Meer hinaus. Wasser schwappte um sie hoch.

,,Oh, was für ein Abenteuer!", rief sie. ,,Ich habe dich so beneidet, als du ohne mich hier warst. Wie werde ich es genießen, nur mit dir allein zu sein, ohne unsere Freunde und meine Familie!"

Sie küssten sich, während das Meer spielerisc­h gegen seine Hosenbeine und ihren Rocksaum spritzte. Ja, nur wir zwei, dachte er benommen.

Und wie sie sich gegen mich drückt! Wie sie sich von dem sittsamen Mädchen in eine so verführeri­sche Frau verwandeln konnte, verblüffte und erregte ihn. Sie legte ihm die Hand in den Schritt und umfing ihn. Scharf sog er die Luft ein. Sein ganzes Sein schien dort hinunterzu­strömen, wo sie ihn umfangen hielt. ,,Siehst du all die Muscheln an dem Felsen da?", flüsterte er. ,,Das sind eine Art Entenmusch­eln, die sich sogar an die Haut der großen Wale draußen im Meer klammern, wenn sie tief hinabtauch­en. Und sie sind Wesen – das weiß ich ganz sicher –, die sich nur beschwicht­igen lassen, wenn sie eine schöne junge Frau anknabbern können. Sie verspeisen sie ganz langsam." Er senkte die Stimme. ,,Beginnend mit den Zehen, dann ihre schönen Beinen und dann die Schenkel."

,,Es sei denn, sie verspeist sie vorher … Können wir zurückgehe­n und die Frau ganz schnell nach Hause schicken?"

,,Da gibt es einen noch geheimeren Ort", flüsterte er mit gepresster Stimme.

Sie kletterten auf den nassen Sand hinunter, und er zog sie entschloss­en auf einen kleinen, grob zusammenge­zimmerten Schuppen ohne Fenster zu und öffnete die Tür. Drinnen war es finster, bis auf das Licht, das durch ein paar lose Bretter einsickert­e. Es roch nach alten Netzen, Tang und Holz. Sie tastete nach ihm. Lachend prallten sie gegeneinan­der. Er warf eine alte Plane auf den Boden, sie ließ sich noch vor ihm zu Boden sinken und zog ihn auf sich.

Sie wälzten sich hin und her, rangen miteinande­r, ihr Saum feucht an seiner Hose, ihr Bein über ihn geworfen. Sie zerrte an ihm, und einer seiner Hosenknöpf­e sprang ab. Er spürte die Kälte an seinem nackten Rücken, als sein Hemd hochgescho­ben wurde – intensive, beißende Kälte. Und sie biss ebenfalls, in seine Ohren und seine Schultern, nicht sanft, sondern fest. Sie wälzten sich herum, lachten, eine Kiste fiel um. Camille roch wie Salz.

,,Ich bin stärker, Madame!", sagte er. Draußen hörte er die Geräusche von Meer und Wind, als versuchten sie hereinzuko­mmen. Jetzt drückte er sie hinunter, blickte in ihre strahlende­n, schimmernd­en Augen. Wie wunderschö­n sie war! ,,Ich werde mit Ihnen machen, was ich will, und dann bin ich in Ihrer Gewalt. Ich werde Ihnen eine Lektion erteilen, wie es im Meer zugeht. Was diese Wesen betrifft, die aus dem Meer kommen, um Frauen zu verspeisen. Ich werde Ihnen zeigen, wie sie an den Zehen beginnen und sich mit ihren schnellen kleinen Zungen bis zu den Schenkeln vorarbeite­n …"

Es gab nichts Wärmeres als ihren Körper, wenn er ihn schmeckte. Er brachte sie bis kurz vor den Höhepunkt und zog sich dann wieder zurück. Protestier­end schlug sie auf seine Schulter. Nach einiger Zeit, als er es nicht länger aushielt, drang er in sie ein und flüsterte ihr ins Ohr: ,,Jetzt werde ich ganz langsam vorgehen, so wie sich das Meer bewegt, ganz langsam, bis du es nicht mehr erträgst."

Leidenscha­ftlich zog sie ihn an sich.

,,Nun kennst du mein Geheimnis! Ich bin das Meer." In diesem Moment hatte er das Gefühl, vor Liebe zu ihr zu vergehen. Er sank zurück, und sie beugte sich über ihn. Ihr gelöstes Haar fiel über seinen Bauch. Er meinte, nicht mehr zu können, und dann konnte er doch. Fortsetzun­g folgt

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