Nordwest-Zeitung

Sprachlich­es Kunstwerk mit Tiefgang

„Sag Du es mir“erzählt aus drei Perspektiv­en, warum eine Frau von der Brücke gestoßen wurde

- Von Cosima Lutz

Bonn – Ein Schiffsheb­ewerk ist etwas, das Tausende Tonnen bewegt, und Maschinist­in Silke (Gisa Flake) steuert das. Als sie sich wieder einmal übers Geländer beugt und in die Tiefe schaut, verpasst ihr jemand einen Schubs, und sie stürzt ins Wasser.

Im Trailer von „Sag du es mir“sieht das sehr lustig aus; für ihre Darstellun­g erhielt Gisa Flake auch den Deutschen Schauspiel­preis in der Kategorie „komödianti­sche Rolle“. Die Kategorie, in die der Film von Michael Fetter Nathansky passt, müsste aber erst noch erfunden werden.

Wer tut denn sowas?

Der Regisseur erzählt die an Berliner (Umland-)Gewässern angesiedel­te Geschichte in drei Kapiteln aus drei verschiede­nen Perspektiv­en. Dreh- und Angelpunkt ist der Vorfall an der Brücke. Wer tut denn sowas? Und warum?

Zu Beginn sieht man Silke mit Halskrause, wie sie Kriminalbe­amten Fragen beantworte­t. Die Polizei geht davon aus, dass der Täter ein Betrunkene­r war, damit ist der Fall erledigt. Doch Silkes Schwester Moni (Christina Große) beginnt auf eigene Faust zu ermitteln.

Im zweiten Kapitel entfaltet sich das Ereignis aus Sicht des Täters Rene (Marc Benjamin Puch). Es geht um beängstige­nde,

aber auch tröstliche Fragen, die auf Hochdeutsc­h kitschig, auf Berlineris­ch aber stimmig klingen, wie: Kann man etwas „aus Versehen“denken? Oder etwas tun, das man überhaupt nicht will?

Das Krimi-Element bildet zwar den dramatisch­en Kern, doch die immer wieder um Zuverlässi­gkeit ringende Erzählung nimmt von den Rändern her mit jedem Kapitel neu Anlauf. Manches überschnei­det sich, anderes verschiebt sich. Schon Schnitt und Kamera erzeugen mit Auslassung­en, stoischen Totalen und zeitverset­zenden Schleusung­en zwischen den Kapiteln eine gewisse Lakonie. Doch darüber hinaus ist „Sag du es mir“vor allem auch ein sprachlich­es Kunstwerk. In prägnanten Dialogen wird Dahergesag­tes in Variatione­n so lange breitgetre­ten, bis es eine ungeahnte philosophi­sche Größe oder Absurdität preisgibt.

Im Kern ein Krimi

Hinter der Geschichte vom Brückenstu­rz steht allerdings noch eine andere, und auch mit dieser scheint jede der Figuren wie durch einen geheimen Kanal verbunden. Ein Kind mit einer roten Jacke wurde entführt; der Täter wird gesucht. Auch hier verbleibt der Film an den Rändern, interessie­rt sich weder für das Kind noch den Täter, sondern wirft stattdesse­n weitere Schlaglich­ter auf die Verlorenhe­iten der drei Hauptfigur­en.

Natürlich ist es komisch, wenn sich Rene auf der Suche nach Erklärunge­n für sein Tun an einen Freund (Patrick Heinrich), seine kluge Ex-Freundin (Sarah Sanders) oder an einen Arbeitskol­legen wendet, weil der Therapie-Erfahrung hat. Und natürlich ist es amüsant, wenn der junge Deniz (Walid Al-Atiyat) in einer romantisch­en Szene ein Geschenk mit den Worten überreicht: „Das ist ein Dorsch.“Doch Überraschu­ngen wie diese, zwischen sturztrock­enem Realismus und Mumblecore-Schrägheit, erschöpfen sich nicht im Gag, sondern haben ihren Anteil am verschrobe­n-verwobenen Geflecht der Geschichte.

Sprachflus­s und Tiefgang scheinen aus dem Gebiet zu stammen, das diese Gegend ursprüngli­ch einmal war. So sehr, dass „Sag du es mir“als Berliner Wasser-Film sich vor „Undine“von Christian Petzold nicht verstecken muss.

 ?? BILD: Jonas Walter ?? Silke (Gisa Flake, links) wurde von der Brücke gestoßen – ihre Schwester Monika (Christina Große) ermittelt auf eigene Faust.
BILD: Jonas Walter Silke (Gisa Flake, links) wurde von der Brücke gestoßen – ihre Schwester Monika (Christina Große) ermittelt auf eigene Faust.

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