DIE FRAU IM GRÜNEN KLEID
67. Fortsetzung
,,Und die wären?", fragte er und blickte in ihr schönes Gesicht, das von Kälte und Wind gerötet war.
,,Lass nur", sagte sie.
Das bescheidene Häuschen mit den durchgetretenen Böden und den schiefen Wänden hatte seinen eigenen Charme. Ein gemieteter Eselskarren brachte ihre Bücher herauf, die sie bei Freunden gelagert hatten, und Claude hängte seine Bilder auf, alle schief. Die Bettgurte knarrten, und Mäuse jagten sich nachts unter den wenigen Möbeln. Tagsüber sang Camille atemlos Melodien von Offenbach in ihrem leicht heiseren Alt, wobei ihre Stimme ausfiel und wieder einsetzte, als hätte sie von jeder Textzeile ein paar Worte vergessen. Er ging zum Malen hinaus, aber nie weiter, als Camille mit etwas Brot, Käse und heißem Kaffee laufen konnte, den sie ihm mittags brachte.
,,Du willst also deine Meinung wegen der Bühne nicht ändern?", fragte er sie an einem späten Winterabend. Die untergehende Sonne beleuchtete die breiten, morschen Bodenbretter auf prächtige Weise, und Jean versuchte, die Strahlen mit seinen kleinen Händen einzufangen.
Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab. ,,Nein", antwortete sie. ,,Ich hab es dir doch gesagt, mon cher! Erinnerst du dich, dass ich in der Buchhandlung mit einem Roman angefangen hatte? Den werde ich jetzt zu Ende bringen. Ich möchte etwas Großartiges daraus machen, das Allerbeste. Jean kaut auf etwas herum, Claude. Kannst du ihn bitte auf den Schoß nehmen?"
Später am Abend lag er im Bett, die Hände unter dem Kopf und seinen Sohn schlafend auf seinem Brustkorb, während Camille im Zimmer auf und ab ging, eine Hand hinter dem Rücken, in der anderen eine paar Blätter, aus denen sie ihm das Anfangskapitel vorlas. Darin ging es um ein Mädchen, das Opernsängerin werden will, sich aber von den Erwartungen seiner
Familie nicht befreien kann.
Als sie fertig war, rief er: ,,Die Figuren sind alle so realistisch!" Sie setzte sich auf den Bettrand und küsste ihn. ,,Ich glaube, ich habe meine wahre Gabe gefunden", sagte sie etwas wehmütig. Und in diesem und im nächsten Monat saß sie am Tisch und schrieb.
Als der Frühling kam, waren sie ununterbrochen draußen und machten, mit Jean auf dem Arm, lange Spaziergänge. Wird mich der Frühling jedes Jahr wieder in Erstaunen versetzen?, dachte Claude. Die ersten Knospen an den Bäumen, das erste frische Grün. Überall um sie herum gab es Obstgärten, Weinstöcke und kleine Viehweiden.
Er verkaufte ein paar Bilder und bezahlte seine Gläubiger, löste seine Seestücke aus, die per Zug nach Paris gesandt wurden und Ehrenplätze in der mit seinen Freunden für den Herbst geplanten Ausstellung einnehmen würden. Er löste außerdem Camilles Kleider aus. Er war erleichtert, als er einen Brief seines Vaters bekam, in dem dieser ihm mitteilte, dass Claudes Tante und er zurückgekehrt wären und es ihr besserginge. Tante Lecadre legte amüsante Artikel aus der Lokalzeitung bei.
An Camilles zweiundzwanzigstem Geburtstag kamen mehr als zwanzig Freunde den Hügel herauf und veranstalteten ein Picknick unter einem ausladenden alten Baum zwischen den Weinstöcken und einem überwucherten Feld. Jean krabbelte herum, riss ganze Hände voll Gras aus und folgte dem sechsjährigen Lucien Pissarro, der sich hin und wieder mit ihm ins Gras setzte. Die Pissarros lebten wieder bei Pissarros Mutter in Louvecinnes. Frédéric kam in einer alten grünen Karohose den Pfad herauf, trug Wein und Kuchen, gefolgt von seinem Freund Edmond, der sich eine Gitarre über den Rücken gehängt hatte.
Auguste brachte Lise mit, die einen Strohhut mit Blumen trug. Er wohnte jetzt ebenfalls in Montmartre. Sisley kam mit seiner neuen Frau und ein paar Musikerfreunden. Sie rechneten nicht mit Camilles Eltern, die sie am nächsten Tag zum Mittagessen ausführen wollten, oder ihrer Schwester, deren kleine Tochter krank war.
Lucien und die älteren Kinder versuchten, Schmetterlinge zu fangen, und pflückten Wiesenblumen. Die Sonne schien auf die Blätter, den Boden und die hellen Kleider der Frauen. Auf Tellern verteilt lagen Berge von Käse und Würsten und Brot. Camille öffnete ein paar kleine Geschenke. Edmond stimmte seine Gitarre und begleitete sich zum Gesang
einiger Schubertlieder.
Aber das Thema ihrer ersten Privatausstellung in diesem Herbst veranlasste die Maler, sich ein wenig entfernt auf einer Decke zu unterhalten und Pfeife zu rauchen. Claude lehnte sich mit dem Rücken an den Baumstamm, und Frédéric streckte sich neben ihm aus.
,,Gestern habe ich Räume für unsere Ausstellung gefunden", berichtete Frédéric aufgeregt. ,,Bis dahin muss ich nun wie ein Verrückter malen. Den Sommer über kann ich Ankündigungen für die Zeitungen und Zeitschriften entwerfen. Wir müssen alle Galeriebesitzer und Kunsthändler einladen, vielleicht sogar Durand-Ruel, der inzwischen der wichtigste Kunsthändler in Paris ist."
,,Der wollte sich meine Arbeiten bisher nie ansehen", sagte Claude bedrückt. ,,Er hat mich durch seinen Gehilfen wissen lassen, dass er sie nicht verkaufen könnte. Sie wären zu modern." Fortsetzung folgt