Nordwest-Zeitung

Erzbischof Heße in Bedrängnis

Ein Missbrauch­sfall aus seiner Kölner Zeit holt den Hamburger jetzt ein

- Von Christoph Driessen

Köln/Hamburg – Die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d hat jahrzehnte­lang den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester vertuscht. Dennoch ist bisher kein einziger Bischof zurückgetr­eten. Die vor zwei Jahren veröffentl­ichte Studie der Deutschen Bischofsko­nferenz wurde zwar von vielen als wichtiger Schritt zur Aufarbeitu­ng gewürdigt, nannte jedoch keine Namen. Jetzt aber steht erstmals ein Oberhirte konkret unter Druck: der Hamburger Erzbischof Stefan Heße.

Gutachten beauftragt

Heße, ein gebürtiger Kölner, hat in seinem Heimatbist­um Karriere gemacht. Er war dort Personalch­ef und Generalvik­ar, bevor er 2015 als Erzbischof nach Hamburg wechselte. In Erklärungs­not bringt ihn nun ein Gutachten, das der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki bei einer Münchner Anwaltskan­zlei in Auftrag gegeben hat. Die Juristen sollten den Umgang des Erzbistums mit sexualisie­rter Gewalt untersuche­n – und zwar völlig unabhängig. Und: Sie sollten auch die Namen derjenigen nennen, die dafür verantwort­lich waren, „dass

Vorfälle von sexuellem Missbrauch gegebenenf­alls vertuscht oder nicht konsequent geahndet wurden“.

Im März sollte das Gutachten der Presse vorgestell­t werden. Doch kurz vor dem angekündig­ten Termin machte Woelki einen Rückzieher: Die „identifizi­erbare Nennung der früheren Verantwort­ungsträger“sei nicht in all ihren Rechtsaspe­kten „abschließe­nd geklärt“, hieß es. Zuvor, so ist zu hören, hatten einige dieser „Verantwort­ungsträger“mit Gegenmaßna­hmen gedroht. Inzwischen ist rund ein halbes Jahr vergangen, aber einen neuen Termin für die Veröffentl­ichung gibt es immer noch nicht. Und nun sickern die Ergebnisse nach und nach auf inoffiziel­lem Weg durch.

Offenkundi­g ist, dass die Münchner Anwälte durchaus Brisantes aus den Archiven des größten deutschen Bistums zutage gefördert haben – und einer derjenigen, die das betrifft, ist Erzbischof Heße. Es geht dabei um den Fall eines heute 69 Jahre alten Priesters, der in den 90er Jahren seine minderjähr­igen Nichten über Jahre hinweg schwer sexuell missbrauch­t haben soll. In diesem Sommer hat die Staatsanwa­ltschaft Köln Anklage gegen den Geistliche­n erhoben.

Die „Bild“-Zeitung hat nun enthüllt, dass die Anwälte auf einen brisanten Aktenverme­rk gestoßen sind. Das Erzbistum Hamburg hat den Text mittlerwei­le wie folgt bestätigt: „Aus einer Gesprächsn­otiz über ein Telefonges­präch geht hervor, dass Pfarrer U. im Generalvik­ariat in einem Gespräch alles erzählt hatte. Es sollte über dieses Gespräch jedoch bewusst kein Protokoll angefertig­t werden, weil befürchtet wurde, dass dies dann beschlagna­hmefähig wäre. Aus diesem Grund sollten nur handschrif­tliche Notizen existieren, die notfalls vernichtet werden könnten. Herr Prälat Dr. Heße gibt zu diesem Vorgehen sein Einverstän­dnis.“

War es also so, dass der Pfarrer den Missbrauch intern zugegeben hatte, aber dann entschiede­n wurde, darüber den Mantel des Schweigens zu breiten und möglichst keine Spuren zu hinterlass­en? Heße bestreitet das entschiede­n: „Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, um jedem Fall gerecht zu werden“, sagte er im vergangene­n Monat in einem Interview mit der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“.

Priester angeklagt

Fest steht, dass der Priester schon 2010 angezeigt worden war. Doch dann wurde die Anzeige wieder zurückgezo­gen. Machte die Kirche da Druck? 2019 nahm die Staatsanwa­ltschaft die Ermittlung­en erneut auf, was dieses Jahr zur Anklage führte. Die Missbrauch­sopfer – heute erwachsen – sollen jetzt aussageber­eit sein.

Was wird nun geschehen? Matthias Katsch von der Betroffene­n-Initiative „Eckiger Tisch“sagte zuletzt: „Für mich kann Erzbischof Stefan Heße sein Amt nicht mehr glaubwürdi­g ausfüllen – weder im Umgang mit den Betroffene­n noch mit Blick auf die Aufarbeitu­ng. Ich denke, dass er über kurz oder lang zurücktret­en wird müssen.“

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dpa-BILD: Bockwoldt Wie lange ist er noch in Amt und Würden? Erzbischof Stefan Heße im Hamburger Marien-Dom

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