Als China in Tibet einmarschierte
Truppen kamen vor 70 Jahren ins Land – Dalai Lama seit 1959 im indischen Exil
Bonn – Gesellschaftlich-ideologisch trafen zwei Extreme aufeinander: In China hatte der kommunistische Revolutionär Mao Tse-tung die Macht übernommen und eine „Volksrepublik“mit straffer Einparteienherrschaft ausgerufen. Im angrenzenden Tibet war ein feudales, mittelalterlich anmutendes Gesellschaftsund Agrarsystem konserviert, mit einem buddhistischen Gottkönig an der Spitze: dem Dalai Lama. Politisch, kulturell und wirtschaftlich dominierte die buddhistische Geistlichkeit der Klöster. Mehr „Konterrevolution“war in den Augen des neuen Peking nicht möglich. Der macht- wie sendungsbewusste Mao orderte: beseitigen!
■ Einmarsch
Vor 70 Jahren, am 24. Oktober 1950, marschierte die chinesische „Volksbefreiungsarmee“in Tibet ein – just am fünften Jahrestag der Uno. Appelle aus der Heiligen Stadt Lhasa an die Vereinten Nationen in New York verklangen. Der „Sitz der Götter“war von Kommunisten besetzt. Das Oberhaupt der Tibeter, die 14. Inkarnation des Dalai Lama, war da noch ein Teenager.
Im Mai 1951 oktroyierte Peking Tibet ein 17-Punkte-Abkommen über seine „friedliche Befreiung“. China übernahm damit auch formell die Kontrolle und erhielt nachträglich die „Erlaubnis“zur Stationierung von Truppen.
Tibet wurde zu einem integralen Bestandteil Chinas erklärt. Im Gegenzug erhielt der Mönchsstaat eine „innere Autonomie“zugesichert.
■ Widerstand
In der zweiten Hälfte der 50er Jahre wuchs der Widerstand gegen Chinas Präsenz. Auf bewaffnete Widerstände reagierte Peking mit noch mehr Truppen, mit vereinzelten Strafaktionen – und mit Drohungen gegen die Sicherheit des Dalai Lama. Anfang 1959 war die Stimmung in Lhasa höchst angespannt. Sollte der Dalai Lama entführt werden? Rund 30 000 Menschen zogen vor den Sommerpalast, um den 23-Jährigen zu beschützen. Die Lage drohte aus dem Ruder zu laufen. Doch noch zögerte die Armee durchzugreifen; in Peking hatte das Mao-Regime dieser Tage noch drängendere Krisen zu bewältigen.
■ Flucht
Die tibetische Führung entschied sich zur Flucht. Der Dalai Lama erreichte nach 14 Tagen
die Grenze zu Indien. Im Exil, hoffend, vielleicht schon bald zurückkehren zu können, wurde er von internationalen Medien neugierig begrüßt. In der Heimat hatte unterdessen ein Massaker stattgefunden: Blutig warfen die Besatzer den Aufstand in Lhasa nieder. Im Garten des Sommerpalastes türmten sich Hunderte Leichen.
■ Umsiedlungen
70 Jahre sind seit dem Einmarsch von 1950 vergangen. Und seit Jahrzehnten macht
Peking Tibet durch Umsiedlung und „Stadtsanierungen“immer chinesischer. Noch immer residiert der 14. Dalai Lama im indischen Exil in Dharamsala. Er ist inzwischen 85 Jahre alt. Wer wird eines Tages auf ihn folgen?
Im Lauf der Jahre hat der Dalai Lama wiederholt Vorschläge zum verfahrenen Tibet-Status gemacht. Doch Peking will von einer echten Autonomie nichts wissen. Dort weiß man: Die Zeit arbeitet für die Besatzer; die Welt gewöhnt sich an den Status quo.