Washingtoner Schauprozess
Warum das „Impeachment“eine Farce ist, die Führungsschwäche offenbart
Beim ersten Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump in der sogenannten „Ukraine-Affäre“gab es in der Bevölkerung zu keinem Zeitpunkt eine Mehrheit, die sich tatsächlich für eine Entfernung des Präsidenten aus dem Weißen Haus aussprach. Rund 47 Prozent befürworteten damals einen solchen drastischen Schritt.
Stimmung gekippt
Doch der Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol am 6. Januar hat das Stimmungsbild unter den Bürgern verschoben. Als am Dienstag das zweite „Impeachment“gegen den mittlerweile pensionierten Präsidenten vor dem US-Senat seinen Auftakt nahm, sehen nun – je nach Umfrage – 52 bis 56 Prozent der Menschen einen triftigen Grund dafür, dass Trump verurteilt und auch für künftige Kandidaturen gesperrt werden sollte. Was bedeutet: Ein Teil der republikanisch wählenden Bürger hat sich in dieser Frage den Demokraten angeschlossen.
Das Verfahren kann diese Woche weitergehen, nachdem am Dienstag eine knappe Mehrheit der Senatoren entschieden hatte: Die Anklage Trumps ist verfassungsge„Anstiftung mäß. Sechs Vertreter der Republikaner schlossen sich dieser Ansicht an – was wiederum für die Demokraten mit Blick auf eine Verurteilung ein schlechtes Zeichen ist. Denn 17 werden mindestens für ein „schuldig“benötigt.
Zunächst hatte der Demokrat Jamie Raskin im Namen der Anklage ein stark von Emotionen geprägtes Plädoyer für eine Verurteilung Trumps gehalten. Eine 13-minütige Videomontage zeigte die dramatischen Vorgänge des 6. Januar – immer wieder von Einblendungen der Worte Trumps unterbrochen, dem die Demokraten eine „Anstiftung zum Aufruhr“vorwerfen.
Ganz im Kontrast zu Raskin stand dabei am ersten Tag der Auftritt der Trump-Anwälte, die nach Meinung von führenden US-Medien teilweise unorganisiert wirkten und deren Argumente oft wenig präzise und zielführend waren. Man merkte den Juristen an, dass sie erst kurzfristig für Trump eingesprungen waren, nachdem dessen zunächst ausgewählte Anwälte das Handtuch geworfen hatten. Die Vertreter Trumps verurteilten jetzt zwar die Attacke auf das Kapitol. Aber sie zweifelten gleichzeitig die Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens an und warfen den Demokraten vor, nur parteipolitische Rache an einem Präsidenten üben zu wollen, den sie im ersten „Impeachment“nicht verurteilen konnten. Trump selbst, so berichtet die „New York Times“gestern, habe an seinem neuen Dauer-Wohnsitz Florida angesichts der schlechten Leistung seiner Anwälte „getobt“.
Es ist aber völlig gleichgültig, ob bei dem Verfahren gegen Donald Trump die Anklage oder die Verteidiger des Ex-Präsidenten überzeugender auftreten. Und beide Seiten können in dieser Woche noch so lange ihre Argumente vortragen – das Ergebnis steht längst fest: In diesem politischen Schauprozess wird Trump freigesprochen werden, da ihm immer noch die Mehrheit der Republikaner im Senat den Rücken deckt.
Beweise oder die Frage, wie überzeugend der Vorwurf der zum Aufstand“dargestellt werden kann, zählen da nicht, da sie keine Wirkung haben werden. Am Ende wollen die US-Demokraten deshalb nur ein Minimalziel erreichen: In den Geschichtsbüchern festschreiben, dass Trump – der seine Worte am 6. Januar bisher nicht bereut hat – als erster Präsident zwei Amtsenthebungsverfahren in einer Amtszeit provoziert hat.
Für das Geschichtsbuch
Für Joe Bidens Ziel, das Land zu heilen, ist das „Impeachment“kontraproduktiv. Es vertieft die existierenden Wunden auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Gleichzeitig geht wertvolle Zeit verloren, in der sich die Volksvertreter gemeinsam mit Biden auf wesentliche Herausforderungen konzentrieren könnten: Eine bessere Verteilung der Impfstoffe. Eine rasche Umsetzung der notwendigen Hilfen für leidende Bürger und Betriebe. Eine Debatte darüber, mit welchen Maßnahmen den neuen VirusVarianten begegnet werden kann. Mit der Macht seines Amtes hätte Biden die Farce, die sich nun auf dem Kapitol abspielt, absagen können. Dies nicht getan zu haben, zeugt von Führungsschwäche.