Nüßlein ist kein Einzelfall
Gegen Abgeordnete wird häufiger ermittelt
Berlin – Georg Nüßlein ließ am Freitag mitteilen, dass er sein Amt als Unionsfraktionsvize ruhen lasse. Das war von der Fraktionsspitze erwartet worden, denn gegen den 51jährigen CSU-Mann wird unter anderem wegen Bestechlichkeit im Zusammenhang mit dem Ankauf von CoronaAtemschutzmasken ermittelt. Tags zuvor war Nüßleins Immunität vom Bundestag aufgehoben worden. Es ist freilich nicht das erste Mal, dass der Staatsanwalt bei einem Abgeordneten anklopft.
Im vergangenen Jahr sorgten gleich zwei Fälle für Aufsehen: So geriet der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland ins Visier der Ermittler wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Und auch die Immunität der CDUAbgeordneten Karin Strenz aus Mecklenburg-Vorpommern wurde ausgesetzt. Hintergrund waren Vorwürfe, sich mit Geld aus Aserbaidschan bereichert zu haben.
Artikel 46 Grundgesetz
Abgeordnete genießen einen besonderen Schutz vor Strafverfolgung. Dieser ist in Artikel 46 des Grundgesetzes geregelt. Demnach darf ein Parlamentarier nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden. Es sei denn, er wird auf frischer Tat ertappt. Die Immunität soll nicht den einzelnen Abgeordneten schützen, sondern „die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages“sicherstellen. Sie soll zudem verhindern, dass politische Gegner die Strafverfolgung instrumentalisieren. Für kleinere Delikte, etwa im Bereich Straßenverkehr, setzt der Bundestag die Immunität jeweils zu Beginn einer Legislaturperiode pauschal aus. In anderen Fällen müssen die Strafverfolger ihre Absichten beim Bundestagspräsidenten anzeigen, der Bundestag kann widersprechen. Für Durchsuchungen, Anklagen oder Strafbefehle muss das Parlament noch Beschlüsse fällen.
Insider betonen: Die Befassung des Bundestages mit einem Fall mache Abgeordneten oft stärker zu schaffen als das eigentliche strafrechtliche Verfahren. Und wenn der Bundestag die Immunität wie im Fall Nüßlein aufhebe, sage das auch noch nichts über Schuld oder Unschuld aus. Zumal dies häufiger vorkommt, als man denkt – in der seit 2017 laufenden Legislaturperiode gab es dem Vernehmen nach bisher mehr als ein Dutzend entsprechende Anträge.
Spektakuläres Ende
Gleichwohl gibt es dann doch spektakuläre Fälle, die das Ende der politischen Karriere bedeutet haben. So wie die der beiden SPD-Politiker Jörg Tauss und Sebastian Edathy, die später sogar wegen des Verdachts auf Kinderpornografie-Besitz angeklagt wurden.
Prominentestes Beispiel für das, was passieren kann, ist Christian Wulff. Er war zwar kein Bundestagsabgeordneter, aber als die Staatsanwaltschaft Hannover am 16. Februar 2012 die Aufhebung der Immunität des damaligen Bundespräsidenten beantragte, um Strafermittlungen einleiten zu können, war das sein politisches Ende: Einen Tag später trat Wulff zurück.