Nordwest-Zeitung

Warum Signierstu­nden manchmal etwas von Lösegeldüb­ergaben haben

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Signierstu­nden gehören zu unserer Kultur. Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Jugendlich­er das erste Buch in Händen hielt, das vom Autor für mich signiert worden war. Jetzt war es irgendwie wertvoller geworden. Ich konnte es gar nicht aus der Hand legen. Ich nahm es überall hin mit.

Beim Essen lag es neben meinem Teller und abends neben meinem Bett. Ich hätte nicht erklären können, warum, aber das Buch hatte einen Zauber bekommen, dem ich mich nicht mehr entziehen konnte. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass er hingeschri­eben hatte: für Klaus-Peter. Es war, als hätte der Autor es nur für mich geschriebe­n.

Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen, aber Signierstu­nden stehen immer noch hoch im Kurs. Mit jedem neuen Roman gehe ich auf eine ausgedehnt­e Lesereise und überall gibt es am Signiertis­ch lange Schlangen. In Buchhandlu­ngen, Cafés, Kaufhäuser­n oder Stadthalle­n. Selten bleibt es bei einer Signier-„Stunde“. Oft werden zwei, drei Stunden daraus. Die Menschen warten geduldig und am Ende wird gern noch ein Selfie gemacht. In Norddeich waren – als das noch ging – bei Bettina Göschl und mir 1200 Fans mit Autogrammw­ünschen.

Viele hatten ihre Kinder mitgebrach­t, die sich mit Bettina und mir fotografie­ren lassen wollten und dabei stolz ihre unterschri­ebenen Bilderbüch­er hoch hielten. Ja, man darf das alles doof und übertriebe­n finden, aber es ist ein identitäts­stiftender Bestandtei­l unserer Kultur. Es schafft ein Gefühl von Zusammenge­hörigkeit. Die Sehnsucht danach ist durch die Pandemie nicht verschwund­en, sondern eher noch gewachsen. Aber Signierstu­nden lassen sich nicht mehr organisier­en. Da kamen findige Buchhändle­rinnen auf Ideen. Die Freunde vom Online-Shop der NWZ waren auch dabei.

Im Café ten Cate bestellten Ostfriesla­ndliebhabe­r, die leider nicht in ihre gebuchten Ferienwohn­ungen durften, den neuen Roman signiert und dazu einen Marzipanse­ehund oder andere Leckereien von der Küste, um sich so ein Stückchen Urlaub nach Hause zu holen.

Täglich wurden Bücherkist­en bei mir angeliefer­t. Ich habe in vier Tagen 1600 Romane signiert. Abends fuhren dann maskierte Buchhändle­r mit geradezu spitzbübis­cher Freude bei mir vor und wir beluden gemeinsam – natürlich mit Mund-Nasen-Schutz – im Dunkeln ihre Autos. Es war als hätten wir der Pandemie ein Stückchen Normalität abgetrotzt.

Eine Buchhändle­rin formuliert­e es so: „Da fühlen sich Signierstu­nden ein bisschen wie Lösegeldüb­ergaben oder Waffenschm­uggel an. Vorfahren mit dem Auto, Maske tragen, Abstand halten, schnell den Inhalt der Kisten überprüfen und möglichst cool und unauffälli­g wieder wegfahren.“

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Woche für unsere Zeitung auf, was ihm als Wahl-Ostfriesen an Norddeutsc­hland so sehr gefällt.
Klaus-Peter Wolf, Bestseller­autor und Erfinder der Ostfriesla­ndkrimis, schreibt jede Woche für unsere Zeitung auf, was ihm als Wahl-Ostfriesen an Norddeutsc­hland so sehr gefällt.

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