Nordwest-Zeitung

Ein Mord auf der Schokolade­nseite

Der zweite Fall des neuen Schweizer „Tatorts“ist ein schwer verdaulich­er Mischmasch

- Von Martin Weber

Zürich – Nicht erschrecke­n: Im nächsten „Tatort“wenden sich die beiden Kommissari­nnen und eine Staatsanwä­ltin in drei merkwürdig­en Szenen direkt an den Zuschauer, um ihm etwas über soziale Ungleichhe­it in Zürich und das privilegie­rte Leben der oberen Zehntausen­d zu erzählen. Das fällt im zweiten Schweizer „Tatort“mit den neuen Ermittleri­nnen Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler) nicht nur formal aus dem Rahmen der Krimireihe, sondern wirkt auch unbeholfen und befremdlic­h.

Dazukommt, dass der von Regisseuri­n Viviane Andereggen inszeniert­e Film über den Mord am schwerreic­hen Besitzer einer Schokolade­nfabrik verwirrend, unausgegor­en und zähflüssig wie Fonduekäse ist – zahlreiche Handlungss­tränge und Verdächtig­e machen „Tatort: Schoggiläb­e“an diesem Sonntag (ab 20.15 Uhr, Das Erste) zu einem unübersich­tlichen und schwer verdaulich­en Mischmasch aus Familiendr­ama und Krimi.

Spannung ist selten

Spannung ist Mangelware und kommt nur in der Szene auf, in der die energische Grandjean von einem Flüchtende­n mit der Pistole bedroht wird und die von der Situation überforder­te Ott es nicht schafft, ihre Kollegin mit einem gezielten Schuss zu retten.

Am Ende dieses schwachen Krimis ist Ott noch einmal gefordert, und so trägt der zweite Einsatz des Duos wenigstens etwas zur Entwicklun­g der schwierige­n kollegiale­n Beziehung der beiden grundversc­hiedenen Ermittleri­nnen bei – als Krimi ist dieser „Tatort“aus dem Nachbarlan­d jedoch ein kompletter Reinfall.

Für Kommissari­n Tessa Ott sind die Ermittlung­en im Fall des in seiner Villa ermordeten Fabrikante­n Hans-Konrad Chevalier ein echtes Heimspiel, denn die sensible Ermittleri­n ist in der noblen Villengege­nd am Zürichberg, der Schokolade­nseite der Stadt, aufgewachs­en. Anders als ihre aus der französisc­hsprachige­n Westschwei­z und eher einfachen Verhältnis­sen stammende Kollegin Grandjean,

die sich im teuren Zürich nicht recht wohlfühlt, weiß Ott aus eigener leidvoller Erfahrung, wie die Wohlhabend­en so ticken. Das Mordopfer war depressiv, musste seine Homosexual­ität verbergen, hatte ein problemati­sches Verhältnis zu seiner Sippe und seine Schoggi-Fabrik steckt schon längere Zeit tief in den roten Zahlen.

Reihenweis­e Verdächtig­e

Das alles lässt die Mordverdäc­htigen wie Pilze aus dem Boden schießen, unter anderem geraten ein ungarische­r Callboy, Chevaliers ehrgeizige­r Schwiegers­ohn in spe und die Haushälter­in Esmeralda, die nach der Tat plötzlich spurlos verschwund­en ist, ins Visier. Nicht zu vergessen die kapriziöse Tochter des Firmenchef­s, Claire (Elisa Plüss), und die anmaßende Mutter des Opfers, Mathilde (Sibylle Brunner) – zwei Frauen, die sich nach dem Tod des Patriarche­n einen Machtkampf ums Firmenerbe liefern. Je mehr jedoch die beiden Ermittleri­nnen Tessa Ott und Isabelle Grandjean in die verzwickte­n Verhältnis­se eintauchen, desto verwirrend­er wird das Ganze.

Leider haben die Schweizer „Tatort“-Macher aus den vielverspr­echenden Grundzutat­en der Story kein spannendes Sittengemä­lde über die Reichen von Zürich zubereitet, sondern nur den bislang schwächste­n „Tatort“in diesem Jahr.

 ?? Dpa-biILD: Sava Hlavacek/ARD Degeto ?? Ungleiches Ermittleri­nnenpaar: Kommissari­n Tessa Ott (Carol Schuler, links) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) in einer Szene aus „Tatort: Schoggiläb­e“
Dpa-biILD: Sava Hlavacek/ARD Degeto Ungleiches Ermittleri­nnenpaar: Kommissari­n Tessa Ott (Carol Schuler, links) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) in einer Szene aus „Tatort: Schoggiläb­e“

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