Ein Mord auf der Schokoladenseite
Der zweite Fall des neuen Schweizer „Tatorts“ist ein schwer verdaulicher Mischmasch
Zürich – Nicht erschrecken: Im nächsten „Tatort“wenden sich die beiden Kommissarinnen und eine Staatsanwältin in drei merkwürdigen Szenen direkt an den Zuschauer, um ihm etwas über soziale Ungleichheit in Zürich und das privilegierte Leben der oberen Zehntausend zu erzählen. Das fällt im zweiten Schweizer „Tatort“mit den neuen Ermittlerinnen Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler) nicht nur formal aus dem Rahmen der Krimireihe, sondern wirkt auch unbeholfen und befremdlich.
Dazukommt, dass der von Regisseurin Viviane Andereggen inszenierte Film über den Mord am schwerreichen Besitzer einer Schokoladenfabrik verwirrend, unausgegoren und zähflüssig wie Fonduekäse ist – zahlreiche Handlungsstränge und Verdächtige machen „Tatort: Schoggiläbe“an diesem Sonntag (ab 20.15 Uhr, Das Erste) zu einem unübersichtlichen und schwer verdaulichen Mischmasch aus Familiendrama und Krimi.
Spannung ist selten
Spannung ist Mangelware und kommt nur in der Szene auf, in der die energische Grandjean von einem Flüchtenden mit der Pistole bedroht wird und die von der Situation überforderte Ott es nicht schafft, ihre Kollegin mit einem gezielten Schuss zu retten.
Am Ende dieses schwachen Krimis ist Ott noch einmal gefordert, und so trägt der zweite Einsatz des Duos wenigstens etwas zur Entwicklung der schwierigen kollegialen Beziehung der beiden grundverschiedenen Ermittlerinnen bei – als Krimi ist dieser „Tatort“aus dem Nachbarland jedoch ein kompletter Reinfall.
Für Kommissarin Tessa Ott sind die Ermittlungen im Fall des in seiner Villa ermordeten Fabrikanten Hans-Konrad Chevalier ein echtes Heimspiel, denn die sensible Ermittlerin ist in der noblen Villengegend am Zürichberg, der Schokoladenseite der Stadt, aufgewachsen. Anders als ihre aus der französischsprachigen Westschweiz und eher einfachen Verhältnissen stammende Kollegin Grandjean,
die sich im teuren Zürich nicht recht wohlfühlt, weiß Ott aus eigener leidvoller Erfahrung, wie die Wohlhabenden so ticken. Das Mordopfer war depressiv, musste seine Homosexualität verbergen, hatte ein problematisches Verhältnis zu seiner Sippe und seine Schoggi-Fabrik steckt schon längere Zeit tief in den roten Zahlen.
Reihenweise Verdächtige
Das alles lässt die Mordverdächtigen wie Pilze aus dem Boden schießen, unter anderem geraten ein ungarischer Callboy, Chevaliers ehrgeiziger Schwiegersohn in spe und die Haushälterin Esmeralda, die nach der Tat plötzlich spurlos verschwunden ist, ins Visier. Nicht zu vergessen die kapriziöse Tochter des Firmenchefs, Claire (Elisa Plüss), und die anmaßende Mutter des Opfers, Mathilde (Sibylle Brunner) – zwei Frauen, die sich nach dem Tod des Patriarchen einen Machtkampf ums Firmenerbe liefern. Je mehr jedoch die beiden Ermittlerinnen Tessa Ott und Isabelle Grandjean in die verzwickten Verhältnisse eintauchen, desto verwirrender wird das Ganze.
Leider haben die Schweizer „Tatort“-Macher aus den vielversprechenden Grundzutaten der Story kein spannendes Sittengemälde über die Reichen von Zürich zubereitet, sondern nur den bislang schwächsten „Tatort“in diesem Jahr.