Vier außergewöhnliche Erlebnistouren
Sternenführung im Watt – Gruseliges Leben der Torfkahn-Schiffer bei Künstlerkolonie
Amrum/Worpswede – Fast jede Touristin und jeder Tourist kennt sie: Stadtführer, die im Gedränge mit dem hochgehaltenen Fähnchen von einem zum anderen Fototermin hetzen und mehr oder weniger lustige Geschichten abspulen. Doch welche Guides erzählen kenntnisreich und anschaulich, ohne ihre Gäste dabei zu überfordern oder zu langweilen? Vier Beispiele von der Nordsee bis in den Schwarzwald.
■ Amrum: Der naturverliebte Wattführer
Dark Blome freut sich schon auf den Sommer. „Ich bin gelernter Bäcker, kein Astronom und kein Physiker, aber ich kann meine Gäste trotzdem für das Universum begeistern“, sagt er. Für seine neue Sternenführung auf der nordfriesischen Insel Amrum hat er viele Bücher studiert und bei Experten Erfahrungen gesammelt.
Von Juni an führt er seine Gäste mit dem Fahrrad von Norddorf zur Sternwarte. Dort zeichnet der Insulaner die nächtlichen Sternbilder mit dem Laserpointer nach und erzählt Geschichten von griechischen Göttern, nennt aber auch ein paar Zahlen und Fakten. „Anders kann man das Weltall nicht erklären“, sagt er.
Anschließend kann man sich auf Isomatten in den Himmel über der Nordsee träumen, bei passender Musik oder Naturstille.
Mit Kompass, Seekarte, GPS, Handy, Seil und Erste-Hilfe-Set führt der staatlich geprüfte Wattführer bei Ebbe durchs Meer. Auch im Winter, wenn nicht gerade Corona herrscht. Dann geht es bei Westwind mit mehr als Stärke fünf durch den Priel. Im Notfall wird die Gruppe zur Seilschaft, und Blome trägt die schwächste Person. Ist der Priel durchwatet, geht es weiter mit Infos über Seehunde, Wattwürmer, Sturmfluten, alte Schiffswracks und Dönekes vom Inselleben.
■ Künstlerdorf Worpswede: Gruselgeschichten
Gruselstimmung gibt es direkt am Fuße des Weyerbergs, auf dem eine 1889 gegründete
Künstlerkolonie mitten im weitgehend trockengelegten Teufelsmoor liegt.
Dort streift Carsten Platz im Outfit eines Torfkahnschiffers durch den nächtlichen Birkenwald und erzählt im düsteren Schein der Petroleumlampe von örtlichen Sagen, Mythen und Legenden. Die Kluft ist ihm zur zweiten Haut geworden, seit er Besuchern im Sommer auf dem kleinen Fluss das beschwerliche Leben als Kahnschiffer nahebringt. Das Erzähltalent hat der gelernte Tischler wohl von einem seiner Urgroßväter, der ihn früh mit Geschichten über Moorleichen, Irrlichter und die verlorenen Seelen aus dem Moor faszinierte.
Platz wandelt auf seinen Spuren, wenn er seine Gäste in der Führung „Gruselkabinettstückchen“zu unheimlichen Begegnungen im Walde führt, die sich bei Nähe betrachtet zum Beispiel als expressionistische Großplastik des Bildhauers Bernhard Hoetger (1874-1949) herausstellt. „Den Kindern kann es gar nicht blutrünstig genug sein“, sagt der Gästeführer – und legt nach mit der Sage von der Nebelfrau.
■ Frankfurt am Main: Der Kulturhistoriker mit profundem Wissen
„Sex and Crime“, antwortet Christian Setzepfandt auf die Frage, welche Stadtführungen am besten ankommen. Der
Ein stattlicher Hof im Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach.
Kulturhistoriker aus Frankfurt am Main, der schon sein Studium mit Stadtführungen in der Bankenstadt finanzierte, weiß auch, wie man einen guten Guide findet: „Bei Führern, die nach dem Bundesverband der Gästeführer BVGD zertifiziert sind, macht man wenig falsch, doch letztlich urteilt der Markt, wer am besten den Ton trifft und den Gästen in kurzer Zeit anschaulich ein vergleichsweise korrektes Bild vom Thema zeichnet.“
Setzepfandts Stadterkundung auf den Spuren des früh vergewaltigten und als schwer erziehbar geltenden Mädchens Rosemarie Nitribitt, das sich in Frankfurt zur Edelprostituierten hocharbeitete und ermordet wurde, ist immer schnell ausgebucht. Dabei rückt der Guide mit akribisch recherchierten Details, Fotos und Einschätzungen so manche Aussage zu dem Kriminalfall
zurecht, bei dem lange Zeit die Verwicklung von Politik und Prominenz diskutiert wurde.
Dem leidenschaftlichen Stadterklärer geht es aber um mehr: „Neun Jahre später wurde in Frankfurt wieder eine selbstbewusste Edelhure ermordet: Helga Matura“, sagt er. „Es ist interessant nachzuzeichnen, wie sich zwischen 1957 und 1966 das Frauenbild veränderte, nachdem die Pille auf den Markt gekommen war und Oswald Kolle die Republik aufgeklärt hatte“, erzählt Setzepfandt.
Veränderung ist gerade auch für ihn angesagt. Im Corona-Lockdown entwickelte er eine neue Hybridform der Führung mit eingespielten Clips und Chats. „Das wird später eine gute Alternative für Leute, die ihren Frankfurt-Besuch zu Hause schon mal vorbereiten wollen.“
■ Freilichtmuseum im Schwarzwald: Die patente Volksschauspielerin
Wer erfahren will, mit welchen Kräutern die Schwarzwälder Bäuerinnen ihr Liebesleben aufpeppten, Geburten kontrollierten oder unnütze Esser beseitigten, wird fündig im Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach im Ortenaukreis.
Dort weiht Billy Sum-Herrmann in bestickter Samtbrust und einem Rock mit Besensaum ihre Gäste als Vogtsbäuerin Barbara Aberle in die Geheimnisse der Bauersfrauen ein. Die Anekdoten um Sex, Geburt und Tod würzen anschauliche Schilderungen, wie Mensch und Tier seit dem 17. Jahrhundert im Eindachhof lebten.
Billy Sum-Herrmann ist seit dem Jahr 2005 nach einem einjährigen Kurs von Nabu und VHS eine der ersten zertifizierten SchwarzwaldGuides. Damals wollte sie mit vier Kindern nicht mehr als Krankenschwester arbeiten. „Das war schön, in der Natur zu sein“, erinnert sie sich. „Aber unsere Führungen mussten wir uns selbst erarbeiten.“
Da sie schon als Kind gern in Kostüme und Rollen schlüpfte, spielt sie nun historische oder typisierte Frauen im Kinzigtal, in der Dorotheen-Glashütte Wolfach oder auf Bahnfahrten nach Konstanz.