„Debatte muss ins Parlament“
Was die Oldenburger Abgeordneten zum Bund-Länder-Gipfel sagen
Oldenburg – Der Nordwesten wird immer mehr zum Corona-Hotspot: Gleich vier Landkreise melden die höchsten niedersächsischen Sieben-Tage-Inzidenzwerte. Am Sonntag betrug der Wert laut Robert Koch-Institut in Cloppenburg 145,9 – das bedeutet Platz eins knapp vor dem Landkreis Wesermarsch mit einer Inzidenz von 142,2. Dahinter folgen der Kreis Leer (124,2) und der Kreis Vechta mit 116,2.
In der Stadt Oldenburg ist man von solchen Werten zwar weit entfernt, aber auch hier hat die Sieben-Tage-Inzidenz am Wochenende mit 50,9 wieder eine wichtige Marke überschritten. Dieser Schwellenwert war vom Bundestag für umfassende Einschränkungen definiert worden. Da diese auch zuletzt trotz Unterschreitung des Wertes galten, hat dies keine weiteren Auswirkungen.
Um Einschränkungen und Lockerungen geht es beim nächsten Bund-Länder-Gipfel zur Bewältigung der CoronaPandemie am Mittwoch. Diese Runde sei als Entscheidungsgremium „völlig inakzeptabel“, sagt Amira Mohamed Ali (Die Linke). Dieses „informelle Gremium“aus Bundesregierung und Ministerpräsidenten dürfe nicht länger auf einer höheren Stufe stehen als der Deutsche Bundestag. Für eine breite gesellschaftliche Akzeptanz von einschränkenden Maßnahmen müssten diese endlich im Parlament debattiert und beschlossen werden, fordert die Fraktionsvorsitzende. Den Bundestag ausreichend eingebunden sehen hingegen Dennis Rohde (SPD) und Stephan Albani (CDU). Die Mitglieder der Regierungsparteien verweisen auf die verabschiedeten zugrundeliegenden Gesetze und die Haushaltshoheit, die auch die Corona-Hilfen umfasst.
„Derzeit fehl am Platz“sind laut Rohde Diskussionen über Vorteile für geimpfte Bürger. Auch Mohamed Ali erteilt unterschiedlichen Grundrechten eine Absage. „Eine solche Debatte und Entscheidung gehört aber auf jeden Fall ins Parlament.“Laut Albani könnten Privilegien „erst realisiert werden, wenn wir jedem ein Impfangebot machen können“.
■ Was die drei Bundestagsabgeordneten aus dem Wahlkreis 27 Oldenburg – Ammerland Rohde, Albani und Mohamed Ali zu Perspektiven und Auswirkungen der CoronaPandemie sagen, lesen Sie auf
Oldenburg – Am Mittwoch berät die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten der Länder über die weitere Strategie in der Corona-Pandemie. Erneut wird das Parlament erst nachträglich eingebunden. Eine breite Debatte über Lockerungen oder Verschärfungen von Maßnahmen gibt es im Vorfeld der Entscheidungen nicht. Was sagen die Bundestagsabgeordneten aus dem Wahlkreis 27 Oldenburg – Ammerland dazu?
Am 3. März steht der nächste Bund-LänderGipfel zur Corona-Pandemie an. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden einmal mehr erst im Nachhinein eingebunden – in Form einer Information und Debatte. Wie lange lassen Sie sich diese Umgehung des Parlaments in der größten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg noch gefallen?
Der Deutsche Bundestag ist eng eingebunden. In einer Krise ist immer wieder schnelles Handeln seitens der Bundesregierung und der Landesregierungen erforderlich. Das ist auch richtig so. Den Rahmen dafür, was Bund und Länder tun können und sollen, setzen aber wir. So hat der Bundestag im Jahr 2020 dreimal das Infektionsschutzgesetz reformiert und dabei zum Beispiel festgelegt, welche Maßnahmen die Bundesregierung wann ergreifen kann. Zu meiner Rolle als haushaltspolitischer Sprecher gehört es, den Bundeshaushalt auszuhandeln – zu dem ja auch die Corona-Hilfen des Bundes gehören. Das wird nicht über die Köpfe des Parlaments entschieden, sondern wir gestalten aktiv mit.
Der Bundestag hat im März 2020 mit übergroßer Mehrheit in einem ersten Gesetz die Pandemie nationaler Tragweite festgestellt. Ohne diese Grundlage können weder die Bundesregierung noch ihre Ministerien per Verordnung oder die Bundesländer per Gesetz oder per Verordnung das öffentliche Leben zum Schutz vor Corona wesentlich einschränken. Als Bundestag versuchen wir weiterhin mit den mit Abstand größten finanziellen Maßnahmen seit 1949, die Probleme so weit wie möglich zu lindern. All dies wird intensiv in jeder Fraktionssitzung diskutiert. Hier formuliert die Fraktion in aller Deutlichkeit die Erwartungen an die Ministerien bzw. an die Exekutive als Ganzes.
Es ist völlig inakzeptabel, dass die Bundesregierung weiterhin permanent das informelle Gremium mit den Ministerpräsidenten auf eine höhere Stufe als den Deutschen Bundestag stellt. Um eine breite gesellschaftliche Akzeptanz und eine solide Basis für die Corona-Maßnahmen zu haben, müssen diese im Parlament debattiert und beschlossen werden.
Die Bundesregierung reagiert bisher lediglich auf die Entwicklung der Pandemie, ein mittelfristiger Plan fehlt, wann die aus Infektionsschutzgründen notwendigen Grundrechtseinschränkungen zurückgenommen werden, ebenso fehlen Perspektiven. Haben die Abgeordneten welche?
In einer Pandemie, die sich dynamisch entwickeln kann, ist ein Fahren auf Sicht die einzig mögliche Herangehensweise. Gerade in der jetzigen Stufe der Pandemie, in der wir einen Rückgang der Infektions- und Todeszahlen erlebt haben, aber sich gleichzeitig die ansteckenderen Mutationen ausbreiten, hielte ich es für fatal, zum Beispiel fixe Öffnungsdaten zu definieren – nur um diese Pläne dann in kürzester Zeit über den Haufen werfen und Erwartungen enttäuschen zu müssen. Richtig hingegen finde ich den Stufenplan des Landes Niedersachsen, der bei präzise definierten Infektionszahlen vorgibt, welche Einschränkungen dann gelten sollen.
Für einen Öffnungsplan, den die Bundesregierung derzeit erarbeitet, brauchen wir eine sichere und stabile Entwicklung, denn zu öffnen und dann gegebenenfalls wieder schließen zu müssen, stellt eine wesentlich größere Belastung dar, als zu warten, bis sich die Werte stabilisieren. Hierzu tragen auch das zunehmende Impfen und die ausgeweiteten Tests bei. Seit dem vergangenen September werden wöchentlich im Schnitt mehr als eine Million Menschen bundesweit auf Corona getestet. Und wir geben als Bund viel Geld in die Entwicklung von Corona-Medikamenten. All das zusammen bildet die Grundlage für die Rückkehr in einen freieren Alltag.
Die Fraktion Die Linke hat von Anfang an eine enge zeitliche Begrenzung und regelmäßige Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Grundrechtseinschränkungen zur Pandemiebekämpfung gefordert. Inzwischen hat das Robert-Koch-Institut einen Stufenplan vorgelegt, in welchem nicht nur Inzidenzwerte berücksichtigt werden. Ich fordere die Bundesregierung auf, dass auf dieser Grundlage ein Plan im Parlament diskutiert und verbindlich beschlossen wird, damit Klarheit geschaffen wird.
Kinder und Jugendliche gehören zu den größten Verlierern der Pandemie, auch wenn sie weniger häufig erkranken. Einbußen in der Bildung, fehlende soziale Kontakte, psychische Belastungen – wie kann das kompensiert werden?
Kinder und Jugendliche leiden besonders darunter, nicht in Schulen oder Kitas zu lernen und mit Gleichaltrigen Zeit zu verbringen, womöglich gar in den eigenen vier Wänden bleiben zu müssen. Für diese wichtigen Kontakte gibt es keinen Ersatz. Deshalb ist es besonders wichtig, dass mit Blick auf mögliche Anpassungen Kinder und Jugendliche Vorrang haben. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat das zu Recht immer wieder betont. Eine langsame Rückkehr in die Schulen, um einen möglichst normalen Alltag wieder ermöglichen zu können, ist daher richtig – wenn es das Infektionsgeschehen zulässt.
Keine heranwachsende Generation seit 1945 hat in Deutschland derart starke Einschnitte in ihrer schulischen wie zwischenmenschlichen Entwicklung erlebt. Der Präsenzunterricht ist in seiner förderlichen Wirkung für die Persönlichkeitsentwicklung durch nichts zu ersetzen. Digitale Stoffvermittlung reicht nicht, wenngleich die digitale Unterstützung auf Dauer auch in pädagogischer Hinsicht ein Zugewinn sein kann und wird. Je eher wir auf gesundheitlich vertretbare Weise die Schulen wieder ohne Einschränkungen öffnen können, umso weniger verlieren vor allem die Schülerinnen und Schüler aus ärmeren Familien an Boden.
Bereits vor der Corona-Pandemie war das deutsche Bildungssystem im internationalen Vergleich nur Mittelklasse und der Erfolg der Kinder besonders stark von der sozialen Herkunft der Eltern abhängig. Teilweise gab es jetzt im Lockdown zu einigen Kindern gar keinen Kontakt mehr. Lehrer berichten, dass eigentlich ganze Jahrgänge das Schuljahr wiederholen müssten. Es muss hier ein bundesweit einheitliches und verbindliches Programm zur Ermittlung und zum Ausgleich von Lerndefiziten geben.
Nach einem Jahr Pandemie merkt man plötzlich, dass Erzieher und Lehrer zu den Berufsgruppen mit den häufigsten Kontakten gehören. Hätte das – unter Einbeziehung des Bundestags, in dem auch 35 Lehrer sitzen – nicht von Anfang an klar sein müssen? Muss in eine Debatte über die Impfreihenfolge nicht endlich auch das Parlament einbezogen werden?
Rückblickend wurde natürlich nicht alles richtig gemacht, auch mit Blick auf den Umgang mit Lehrern und Lehrerinnen, Erziehern und Erzieherinnen. Wir müssen uns nach und nach an neue Erkenntnisse anpassen. Die Einstufung von Lehrern und Erziehern in die hohe bzw. erhöhte Priorität der Impfreihenfolge ist ein wichtiges Signal, denn sie ermöglicht nicht nur ihnen selbst mehr Schutz, sondern macht auch die wichtigen Kontakte unter Kindern und Jugendlichen wieder möglich. Die Corona-Impfverordnung orientiert sich eng an den wissenschaftlichen Empfehlungen der Impfkommission.
Die Entscheidung, wann, wer geimpft wird, wurde nach der Gefährdung durch den Coronavirus mit absteigendem Risiko entschieden. Diese Entscheidung wurde umfassend in Fraktion und Arbeitsgruppen diskutiert, und ich halte diese für grundsätzlich richtig. Und genauso richtig finde ich es, wenn eine gemeinsame gesellschaftliche Debatte zu einem großen Konsens führt, Erzieherinnen und Erziehern wie Lehrerinnen und Lehrern höhere Prioritäten zu geben. Für mich ist das eher ein Zeichen der Stärke unserer Demokratie, wenn Festlegungen im begründeten Fall verändert werden können.
Absolut. Meine Fraktion hat von Anfang an auf eine gesetzliche Grundlage gepocht. Das Parlament ist der Ort, an dem Debatten geführt und Entscheidungen getroffen werden müssen. Stattdessen wurde vieles lange verzögert und ignoriert, z.B. bei Schulen und Kitas. Das Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung ist eine Katastrophe.