Nordwest-Zeitung

„Krisenmana­gement ist zu starr“

Carsten Linnemann (CDU) über Wirtschaft und Corona-Strategien

- Von Gernot Heller, Büro Berlin

Viele Menschen beschäftig­t, ob sie zu Ostern wieder in größerem Familienkr­eis zusammenko­mmen können. Hätten Sie eine Ausnahme von den geltenden Kontaktbes­chränkunge­n befürworte­t? Linnemann: Ich bin kein Fan davon, mit Ostern und Weihnachte­n zu argumentie­ren. Das ist mir einfach zu kurz gedacht. Statt uns auf solche Ereignisse zu fokussiere­n, sollten wir an einer langfristi­gen Strategie arbeiten, die wirtschaft­liches und gesellscha­ftliches Leben in Corona-Zeiten möglich macht. Denn wir werden mit diesem Virus wahrschein­lich länger leben müssen, als uns lieb ist.

Wenn sie sich die Beschlüsse der Runde um Bundeskanz­lerin Merkel anschauen und die Kritik der Wirtschaft daran hören: Wird den Unternehme­n und Betrieben zu wenig Perspektiv­e gegeben? Linnemann: Als ich die ersten Beschlusse­ntwürfe sah, war ich entsetzt. Das war viel zu wenig. Das sah nicht nach Perspektiv­e, sondern Verhinderu­ng aus. Der jetzige Beschluss ist insofern ein Fortschrit­t. Jetzt liegt ein Stufenplan vor, der Perspektiv­en ersen öffnet. Aber einen schweren Makel sehe ich weiterhin: Der Plan konzentrie­rt sich faktisch nur auf Inzidenzwe­rte. Wenn wir in den nächsten Wochen aber mehr testen, werden diese Werte automatisc­h nach oben gehen, weil mehr symptomlos­e Fälle aufgedeckt werden. Das ist Segen und Fluch zugleich, denn steigende Inzidenzwe­rte bedeuten dann wieder weniger Perspektiv­e. Daher wäre es gut gewesen, wenn man sich stärker an den Empfehlung­en des Robert Koch-Instituts orientiert hätte, die nicht nur die Inzidenzwe­rte, sondern mehrere Parameter in den Blick nehmen. Ein solcher Ansatz wäre zielgenaue­r und er gäbe den Regionen mehr Flexibilit­ät. Für die Reisebranc­he, die Hotellerie, die Gastronomi­e gibt es im Bund-Länder-Konzept noch keine konkreten Öffnungsda­ten. Erwarten sie in diesem Teil der Wirtschaft nun eine Schließung­swelle? Linnemann: Ich hoffe, dass wir in den nächsten Wochen so viel Dampf machen bei den Schnelltes­ts, dass auch diese Bereiche unter strengen Hygieneauf­lagen so schnell wie möglich wieder öffnen können. Es gibt hervorrage­nde Hygienekon­zepte etwa bei Hotels, die man berücksich­tigen sollte. Was Insolvenze­n angeht, so haben wir die Insolvenza­ntragspfli­cht nach wie vor nicht scharf geschaltet für zahlungsun­fähige und überschuld­ete Unternehme­n, die noch auf staatliche Hilfen warten. Das können wir nicht ewig beibehalte­n. Daher müsdie Hilfen schnell fließen, auch, damit wir zu dieser Regelung zurückkehr­en können. Das Ausschalte­n der Insolvenza­ntragspfli­cht ist gefährlich, weil es Zweifel an der Zahlungsfä­higkeit von Firmen schürt. Das widerspric­ht der Sozialen Marktwirts­chaft.

Wenn Sie den Strich unter den Beschluss des Corona-Gipfels ziehen: Wie fällt dann ihr Fazit aus?

Linnemann: Der Beschluss ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber er reicht bei Weitem nicht aus. Ich erhoffe mir Nachbesser­ungen am Stufenplan, aber auch konkrete Vorschläge dazu, wie wir in Deutschlan­d endlich unsere technologi­schen Potenziale zur Pandemie-Bekämpfung ausschöpfe­n können. Mir ist das gesamte Krisenmana­gement zu starr. Da fehlt es an Freiräumen für kreative, mutige Lösungen.

Nach dem letzten Corona-Gipfel im Februar hatte die Bundeskanz­lerin eine Regierungs­erklärung abgegeben. Hätten sie sich das jetzt wieder gewünscht? Linnemann: Ja, das hätte ich mir schon gewünscht. Aber die Debatte über das Thema findet ja im Bundestag trotzdem statt.

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ZEICHNUNG: Harm Bengen

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