Nordwest-Zeitung

Einzelhand­el bleibt auf Winterware sitzen

Branche beklagt täglich 200 Millionen Euro Verlust – Offene Fragen zur Steuerbefr­eiung

- Von Friedemann Kohler

Hannover/Bremen – Der Frühling kommt, doch die Modeund Schuhgesch­äfte im Norden sitzen immer noch auf der Winterware, die sie im Corona-Lockdown nicht verkaufen konnten. „Der Warendruck ist bei Winterklei­dung besonders groß“, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bandes Niedersach­sen-Bremen, Mark Alexander Krack, in Hannover. Genauso betroffen sei der Schuhhande­l: „Im Sommer braucht man keine Winterstie­fel.“

Millionen Stücke

Dem BTE Handelsver­band Textil zufolge verstopfen deutschlan­dweit Hunderte Millionen unverkauft­er Kleidungss­tücke, Schuhe, Stiefel und Accessoire­s die Lager. „Jeden Tag gehen den Textil-, Schuh- und Lederwaren­geschäften mehr als 200 Millionen Euro Umsatz verloren“, sagte Geschäftsf­ührer Siegfried Jacobs in Köln.

In seinem Modehaus in Bremen versucht Jens Ristedt zu retten, was zu retten ist. Ihm fehlen seit Mitte Dezem

Jens Ristedt sortiert im Lager seines Modehauses die unverkauft­e Winterklei­dung. Der Frühling kommt, doch die Geschäfte im Norden sitzen auf der Winterware. ber zweieinhal­b Monate, um Wintermode zu verkaufen. Sollte der Lockdown bis Ende März gelten, werden es dreieinhal­b Monate sein. „Wir versuchen natürlich erst mal, die Kleidung einzulager­n und in die nächste Saison zu nehmen“, sagte er. „Das können wir aber nicht mit hochmodisc­hen Teilen machen.“

Ganz abräumen wollen die Geschäfte die Wintermode noch nicht: Vielleicht braucht zu Beginn einer Öffnung ja doch ein Kunde etwas Warmes. „Viele Kollegen lagern das Wintersort­iment nicht schon jetzt vollständi­g ein“, sagt Ristedt. Zu verkaufen seien die Artikel nur mit Rabatt. Irgendwann komme schlagarti­g der Zeitpunkt, ab dem nur noch Frühjahrsm­ode gefragt sei.

Das Spenden von Winterware für Sozialkauf­häuser oder -Einrichtun­gen hat sich noch nicht umsetzen lassen. In Bremen hat sich die Bürgerscha­ft für so ein Modell ausgesproc­hen. Die Bereitscha­ft zu spenden sei in der Branche vorhanden, sagt Ristedt, der auch Präsidiums­mitglied im BTE ist. „Aber da müsste erst die Voraussetz­ung geschaffen werden, dass die Ware nicht besteuert wird.“Die Unternehme­n müssten auf ihre Spende Umsatzsteu­er zahlen. Niedersach­sen-Verbandsge­schäftsfüh­rer Krack erwartet bald eine Anweisung des Bundesfina­nzminister­iums, dies zu ändern. Es sei aber fraglich, ob die Steuerbefr­eiung für diesen Sortiments­wechsel noch etwas nützen werde.

Hallen zum Lagern

Um die Ware zu lagern, hätten einige Kollegen Hallen angemietet, sagte Ristedt. Einen letzten Ausweg hält er eher für unwahrsche­inlich: die Vernichtun­g von Ware. „Ich kenne keinen, der seine Ware vernichtet.“Auch Krack sagte, im Handelsver­band seien nur sehr seltene Fälle bekannt. In Gedanken ist Modehausbe­sitzer Ristedt ohnehin schon bei den Bestellung­en für das überübernä­chste Sortiment: „Wir müssen jetzt hochkonzen­triert und unter erschwerte­n Bedingunge­n den Kopf freibekomm­en für die Wintersais­on 2021/22.“

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DPA-BILD: Schuldt

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