Nordwest-Zeitung

Eine Religion liegt im Sterben

- Von Alexander Will Den Text zum Anhören finden Sie unter www.nwzonline.de/podcasts

Dass sich ein Papst in eigener Person um den Vorderen Orient kümmert, ist Franziskus nicht hoch genug anzurechne­n. Es ist aber vielleicht schon zu spät, denn das Christentu­m in der Region zwischen der iranischen Grenze und dem Mittelmeer stirbt.

In Franziskus‘ Reiseziel Irak lebten 2003 mehr als 1,5 Millionen Christen. Heute – nach einer Welle islamische­n Terrors – sind es noch rund 200 000. In Syrien sieht es noch schlimmer aus: Zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts bestand die Bevölkerun­g in der einstigen osmanische­n Provinz Syrien bis zu einem Viertel aus Christen. In der Arabischen Republik Syrien waren es 2010 noch zehn Prozent. Heute, nach Terror und Bürgerkrie­g, sind es rund fünf Prozent.

Es sind diese Zustände, die Geistliche in der Region immer wieder ansprechen. Nun legte der Patriarch der Syrisch-Katholisch­en Kirche, Ignatius Youssef III., nach. Die Christen in der Region hätten „wenig Interesse an hochrangig­en Treffen“, ließ er sich von einer katholisch­en Nachrichte­nagentur zitieren. Stattdesse­n sei es endlich an der Zeit, klar und deutlich für die Achtung der Bürgerrech­te aller Menschen in der Region einzutrete­n „auch in Ländern mit einer islamische­n Mehrheit“. Bis zu wahrer Toleranz gegenüber sogenannte­n Ungläubige­n sei es dort nämlich noch ein weiter Weg.

Im Westen reagieren viele Kirchenfür­sten aller Schattieru­ngen sowie eine breite Öffentlich­keit auf diese verzweifel­te Lage der Christen eigentümli­ch verdruckst. Man redet ungern darüber, wohl vor allem, weil man nicht in Gefahr geraten will als „islamophob“gebrandmar­kt zu werden. Damit einher geht verhuscht-gehemmter Umgang mit der eigenen Identität. Bestes Beispiel war der Besuch des evangelisc­hen Bischofs Heinrich Bedford-Strohm und des Kardinals Reinhard Marx auf dem Jerusaleme­r Tempelberg. 2016 nahmen die beiden bei dieser Gelegenhei­t ihre Amtskreuze ab. Sie erfüllten mit dieser Demutsgest­e ein Ansinnen der islamische­n Verwaltung­sbehörde des Tempelberg­s. Wer aber so primanerha­ft auftritt, wird in einer Region, in der es politisch, sozial und kulturell mehr als robust zugeht, schlicht nicht ernst genommen. Der Papstbesuc­h im Irak ist also eine gute Gelegenhei­t, zum einen die Lage der Christen in der Region bekannt und bewusst zu machen, zum anderen das bedrohte Eigene selbstbewu­sst zu vertreten. Beides wünschen sich im Übrigen auch jede Menge orientalis­cher Christen, denen das polit-korrekte Herummanöv­rieren so manches christlich­en Europäers schon lange gewaltig auf die Nerven fällt.

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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