Vom Vorreiter zum Sorgenkind
Warum Deutschland bei der Energiewende mittlerweile hinterherhinkt
Anfang 2015 schrieb der renommierte Journalist und Pulitzer-Preisträger Thomas L. Friedman eine vielbeachten Beitrag in der „New York Times“zur „German Energiewende“. Unter dem Titel „Germany, the Green Superpower“(Deutschland, die grüne Supermacht) zeigte er sich beeindruckt, wie das Land sich zum globalen Vorreiter bei der „Energiewende“– er benutzte wie selbstverständlich den deutschen Begriff – aufgeschwungen hatte.
Und in der Tat: Nirgendwo
sonst sprossen in den 1990erund 2000er-Jahren so zahlreich Windräder aus dem Boden und wurden Solaranlagen installiert wie hierzulande. Firmen wie Enercon oder Solarworld entwickelten sich zu global führenden Herstellern.
Kaum neue Windräder
Nur wenige Jahre später ist von dieser Begeisterung nichts mehr zu spüren. Während weltweit die Windkraft boomt, wurden hierzulande 2019 gerade einmal noch 325 Windräder aufgestellt – so wenig wie seit 20 Jahre nicht. Die deutsche Photovoltaikindustrie fristet seit Jahren ein Schattendasein. Und Enercon machte zuletzt vor allem Schlagzeilen mit Umstrukturierungen und Rekordverlust.
Stellt man sich die Frage, warum sich der einstige Energiewende-Vorreiter zum Sorgenkind entwickeln hat, muss man vor allem auf die Politik schauen. Denn die hat mit gut gemeinten, aber schlecht gemachten Entscheidungen den
Ausbau geradezu abgewürgt.
Dabei war es eine politische Entscheidung, die den Boom hierzulande überhaupt erst möglich machte: das 2000 beschlossene Erneuerbare-Energien-Gesetz, dessen Grundprinzip – profitable Einspeisetarife für 20 Jahre zu garantieren – bestechend war. Denn es gab der Branche das, was sie am meisten brauchte: Planbarkeit und Verlässlichkeit.
2010 beschloss die Regierung die Ziele zur Senkung von Treibhausgasen. Ein Jahr später – geprägt von der Atomkatastrophe in Fukushima – verkündet das Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Atomausstieg. Doch statt den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben, bremste die Politik ihn fatalerweise ausgerechnet jetzt aus. Um die Kosten nicht ausufern zu lassen, kürzte der damalige Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) 20212 die Fördermittel bei Photovoltaik drastisch – und versetzte damit der deutschen Solarindustrie den Todesstoß. „Wir haben die Narretei zuwege gebracht, die Photovoltaikindustrie hoch zu fördern, als sie noch extrem teuer war und fast niemand in der Welt die Module kaufen wollte, und dann kaputt zu kürzen, als China, Indien und die USA einstiegen und riesige, wachsende Absatzmärkte für die deutschen Hersteller entstanden“, sagt Energieforscher Volker Quaschning.
Als fatal für den Windenergieausbau sollte sich der 2016 beschlossene Paradigmenwechsel in der Förderpolitik erweisen. Weil es die Befürchtung gab, dass die Energiewende bei einem zu schnellen Ausbau zu teuer werden würde, vereinbarte die Große Koalition Obergrenzen beim Ausbau von Erneuerbaren und ein Ausschreibungssystem.
Dadurch wurden aber nicht nur eingespielte Planungsund Genehmigungsverfahren über den Haufen geworfen. Die Neuregelung erwies sich als so kompliziert, dass kaum noch Akteure sich überhaupt an den Ausschreibungen beteiligten. Folge: Der Windenergieausbau brach dramatisch ein, viele deutsche Hersteller mussten aufgeben, Zehntausende Jobs gingen verloren.
Dabei bräuchte es jetzt eigentlich mehr Mut in der Energiepolitik. Statt sich in Klein-Klein zu verlieren, müsste die Politik endlich einmal deutlich formulieren, dass die Energiewende, die Klimaziele und der Abschied von Kohle UND Kernenergie nur gemeistert beziehungsweise erreicht werden können, wenn das Land Wind- und Solarenergie massiv ausbaut – und auch entsprechend handelt.
Und – um die Akzeptanz in Teilen der Bevölkerung wieder zu erhöhen – muss die Beteiligung der Bürger und Gemeinden vor Ort von der Ausnahme zur Regel werden. Vielen Windparks fehlt die regionale Bindung. Das Geld machen oftmals anonyme Projektfirmen. Die Kommunen müssten stärker auch finanziell partizipieren, wenn bei ihnen ein Windpark errichtet wird.
Andere machen Tempo
Energiewende kann funktionieren – wenn man es denn will. Das zeigen andere Länder – allen voran China, aber auch Dänemark oder Großbritannien. Sein Land solle zum „Saudi-Arabien des Windes“werden, sagte der britische Premier Boris Johnson einmal. Kein leeres Geschwätz: Von den zehn weltgrößten Hochsee-Windparks befinden sich acht in britischen Gewässern. War Kohle 2012 dort noch für 43 Prozent der Elektrizität verantwortlich, sind es heute weniger als zwei Prozent.
Zahlen, von denen Deutschland nur träumen kann. Auch bei der „New York Times“ist Ernüchterung eingekehrt. Der jüngste Artikel zur „German Energiewende“trug den Titel „The Tragedy of Germany’s Energy Experiment“: „Die Tragödie (bzw. das Trauerspiel) des deutschen Energie-Experiments“.