Natalia Ginzburg: Die Stimmen des Abends (1961)
Kann man sich vorstellen, dass ein Stück von Anton Cechov in Italien spielt? Die Sizilianerin Natalia Ginzburg wurde gern mit Cechov verglichen. Beider Thema ist die
Ginzburgs Romane spielen, ähnelt der, die deutsche Regisseure in ihren CechovInszenierungen gern evozieren: schwermütig, trübsinnig, hoffnungslos: Bonsoir tristesse. Über diese Art der Umsetzung hat sich Cechov bitter beklagt: Er habe schließlich Komödien geschrieben.
Komische Absichten kann man Natalia Ginzburg nicht unterstellen, boshaft-ironische Tendenzen fehlen bei ihr. Sie macht das wett durch eine unitalienische Lakonie, die an Minimalismus grenzt, ohne wie die arte povera mit ihrer Schmucklosigkeit zu protzen.
Klaus Modick Bernd Eilert.
Ginzburg benötigt für den Verfall einer Familie 200 Seiten, Schauplatz ist ja auch nicht Lübeck, sondern ein
Dorf in der Nähe von Turin zur Zeit des Faschismus, der auch in Italien den Niedergang der bürgerlichen Kultur besiegelte.
Natalia Ginzburg wurde zwar 1916 in eine bürgerliche Familie hineingeboren, doch ihre politische Biografie weist scharf nach links. Sie heiratet einen überzeugten Antifaschisten, der von Mussolinis Schergen ermordet wird. Im Alter kandidiert sie für die Kommunistische Partei Italiens.
Geschrieben hat Natalia Ginzburg ihren Roman Ende der 50er Jahre in England.
Womöglich brauchte sie die Distanz, um den Ton zu finden, der für ihr weiteres Werk charakteristisch bleiben wird, und den bereits der Titel anschlägt. Oder gibt es jemanden, der sich „Die Stimmen des Abends“dröhnend laut oder durchdringend schrill vorstellt?
Das Buch Natalia Ginzburg: Die Stimmen des Abends (1961). Die Kolumne „Ein Jahrhundert – 100 Bücher“erscheint regelmäßig exklusiv in dieser Zeitung. Alle Folgen zum Nachlesen sind zu finden unter
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