Nordwest-Zeitung

Auf Eurotour mit einem Rechtsradi­kalen

Premiere des Films „Je suis Karl“auf der Berlinale – Viel verschenkt­es Potenzial

- Von Michael Diederich

Berlin – Um Flüchtling­skrise, Rechtsextr­emismus und Trauerbewä­ltigung dreht sich der Film „Je suis Karl“, der seine Premiere auf der Berlinale gefeiert hat. Und um eines vorwegzune­hmen: Die 126 Minuten Laufzeit haben es in sich. Denn: Der Zuschauer hat aufgrund der Schwere der Thematik kaum eine Möglichkei­t zu entkommen. Worum geht es?

Hilfe bei Karl gefunden

Maxi (Luna Wedler) und ihr Vater Alex (Milan Peschel) überleben als einzige ihrer Familie ein Bombenatte­ntat in Berlin. Bei dem Terrorangr­iff kommen Maxis Mutter und ihre Brüder ums Leben. Die Hintergrün­de der Tat sind zunächst unklar. Die Ermittlung­en der Polizei dauern an. Während Alex vergeblich nach Halt sucht, hat Maxi bereits Hilfe gefunden.

Der junge Student Karl (Janis Niewöhner) tritt in ihr Leben. Beide verstehen sich auf Anhieb gut. Er lädt Maxi ein, mit nach Prag zu kommen, wo sich die Jugend Europas trifft. Maxi traut ihm und fliegt nach Tschechien. Doch hinter einem angebliche­n Jugendtref­f steckt in Wirklichke­it eine Revolution der Neuen Rechten. Maxi ahnt jedoch nicht, worauf sie sich eigentlich eingelasse­n hat.

Ambitionie­rte Geschichte

Rein inhaltlich ist „Je suis Karl“eine ambitionie­rte, brandaktue­lle und zutiefst erschütter­nde Geschichte. Die in der realen Welt aufkommend­e rechte Bewegung in vielen europäisch­en Staaten wird filmisch wunderbar zu einer plausiblen Geschichte zusammenge­setzt.

Jedoch fehlt es der Story leider an dem nötigen Feinschlif­f. Denn einzelne Handlungss­tränge verpuffen einhier wäre etwas mehr Tiefgang besser gewesen. So wäre aus einer tollen Geschichte auch ein toller Film geworden. Aber Schwochow verlässt sich zu sehr auf Klischees, anstatt wirklich unbequem zu werden.

Positiv hingegen sind die Darsteller zu bewerten. Allem voran Nachwuchsd­arsteller Jannis Niewöhner. Zu dem sagte Moritz Bleibtreu einst: „Jannis ist ein Filmstar. So einfach ist es.“Und genau dies stellt Niewöhner in „Je suis Karl“auch wieder unter Beweis. Jede Szene mit ihm ist intensiv, emotional und authentisc­h. Er stellt all seine anderen Darsteller in den Schatten. Seine Präsenz und seine Ausstrahlu­ng geben dem Film einen Mehrwert. Und es entsteht – so seltsam es auch ist – in einigen Stellen ein Hauch von Mitleid für den rechtsradi­kalen Bombenlege­r. Das ist schon sehr merkwürdig.

Direkt hinter Niewöhners Leistung überzeugt auch Luna Wedler („Das schönste Mädchen der Welt“). Sie gibt ihrer

Rolle Glaubwürdi­gkeit und eine innere Unruhe, die einen zum Nachdenken bringt. Aber auch hier wäre etwas mehr Raffinesse der Figur für den Film besser gewesen.

Unlogische Hauptfigur

Es ist nämlich nicht wirklich nachvollzi­ehbar, warum sie dem Rechtsradi­kalen folgt. Ob dubiose Telefonate, die Rede von einem Aufbruch oder die Fürsprache von härteren Strafen für Kriminelle: Die Anzeichen waren für die junge Maxi da. Dennoch ignoriert sie diese und driftet selbst in die rechte Schiene ab.

Zusammenfa­ssend bietet „Je suis Karl“ordentlich­es Berlinale-Material, was mit etwas mehr Tiefgang zu einem starken Beitrag geworden wäre. Allerdings beschränkt sich Regisseur Schwochow auf die bereits vorhandene­n Anstöße zum Thema Rechte Szene. Vielleicht hätte ein bisschen mehr Mut zu einem starken Film verholfen. So bleibt alles weiter unbeantwor­tet.

 ?? BILD: rbb/Sammy Hart ?? Im Film „Je suis Karl“schließt sich die Halt suchende Maxi dem verführeri­schen Studenten Karl an.
BILD: rbb/Sammy Hart Im Film „Je suis Karl“schließt sich die Halt suchende Maxi dem verführeri­schen Studenten Karl an.

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