Zeitzeugen abseits der Zechen
Ruhrgebiet und seine Schlösser – Von Karolingern bis in wilhelminische Zeit erbaut
Oberhausen – Mehr als 100 Schlösser und Burgen gibt es im Ruhrgebiet im Herzen Nordrhein-Westfalens, die von der Geschichte der Region vom Frühmittelalter bis in die Gegenwart hinein erzählen – und damit auch von einer Zeit, als es an Ruhr, Emscher und Lippe noch keinen Steinkohlebergbau gab. Eine Auswahl von sechs Zielen.
■ Sehr alt: Schloss Broich
Das Gebäude ist nicht einfach alt – es ist uralt: Schloss Broich in Mülheim mit seinen meterdicken Mauern stammt aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts. In der Nähe der Ruhr wurde die Festung einst zum Schutz des Handelsweges zwischen Duisburg und Paderborn gebaut. Erst in den 1960er Jahren kam durch Ausgrabungen das wahre Alter ans Licht. Die Mülheimer gerieten ins Staunen: Ihr Schloss galt nun nicht mehr nur als älteste Ruhrgebiets-Burg, sondern auch als eine der bedeutendsten karolingischen Befestigungen im deutschen Sprachraum.
Die wehrhafte Burg wurde im 17. Jahrhundert als barocke Residenz ausgebaut. Heute ist Broich im städtischen Besitz, die alten Mauern wurden von 2009 an zehn Jahre lang mithilfe von Fördermitteln und großzügigen Spendern saniert. Am Rand eines hügeligen Parks steht das Bauwerk im Kontrast zu den Hochhäusern in der Mülheimer Innenstadt. Trauungen und Tagungen finden im Rittersaal sowie im Wappen- und Kaminzimmer statt.
Weitere Informationen unter schloss-broich-muelheim.de
■ Ziemlich jung: Schloss Oberhausen
In diesem Schloss befindet sich neben dem Trauzimmer des Oberhausener Standesamtes auch das Museum Ludwiggalerie. Das filigran wirkende Schloss ist zwischen 1812 und 1821 nach Plänen des Münsterländer Architekten August Reinking entstanden und gilt damit als einer der jüngsten Adelssitze im Ruhrgebiet. Seit 1998 zeigt die Ludwiggalerie Wechselausstellungen und Fotokunst mit Bildern zum Beispiel von Peter Lindbergh und Jim Rakete.
Detaillierte Informationen unter www.ludwiggalerie.de
■ Sehr wehrhaft: Burg Vondern
Zwei dicke Rundtürme und die Reste eines Wassergrabens: So stellt man sich eine mittelalterliche Burg vor. Schon 1266 wurde in Urkunden erstmals ein Haus Vondern verzeichnet. Zerstörungen in Kriegswirren, Erbstreitigkeiten im Adel, häufige Besitzerwechsel, neue Nachbarn ab 1903 durch die Zeche Vondern, Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg: Die Mauern von Burg Vondern und das barocke Herrenhaus haben viel erlebt.
Das bislang vorletzte Kapitel von Vondern ist das eines Bauernhofs. Ein Landwirt hielt dort Milchkühe und Hühner, doch eingezwängt zwischen der Autobahn A 42 und einem Rangierbahnhof hatte die Landwirtschaft keine Zukunft. Der Bauer verlor einen Rechtsstreit mit der Stadt Oberhausen und musste die Landwirtschaft 1984 aufgeben.
„Und dann haben wir eine nicht intakte Burg übernommen, ein Abenteuer“, sagt Walter Paßgang vom Verein Förderkreis Burg Vondern. Heute steht das Herrenhaus mit dem Rittersaal als Außenstelle des Standesamtes Oberhausen für Trauungen bereit. Burg Vondern
und der kleine Park sind auch ein beliebtes Ziel für Radtouristen an der Ruhr, die Industriekultur-Autoroute führt ebenfalls direkt vorbei.
@ www.burg-vondern.de
■ Barocke Schönheit im Park: Schloss Strünkede
Von Ferne braust der Verkehr über die auch Emscherschnellweg genannte A 42, über den Häusern erhebt sich der riesige Kühlturm des Heizkraftwerks Herne mit seinem 300 Meter hohen Schornstein. Doch in der Nähe entführt Schloss Strünkede ins 13. Jahrhundert – damals wurde das Wasserschloss zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt.
So wie das Schloss derzeit aussieht, entstand es vom 16. Jahrhundert an. Der Baustil des Sitzes der Familie von Strünkede: Frühbarock mit Wassergraben sowie ein Park im Stil des französischen Barock. Im 19. Jahrhundert aber endete die herrschaftliche Ära, Strünkede wurde zum Restaurant, Polizeiquartier und Kindererholungsheim. Heute beherbergt das Schloss die Sammlungen des EmschertalMuseums: Hernes Historie von den Neandertalern bis zur
Industriestadt.
@ www.herne.de/Kultur-und-Freizeit/Kulturorte/Schloss-Strünkede
■ Adelssitz seit dem 14. Jahrhundert: Schloss Bodelschwingh
Den besten Blick auf Schloss Bodelschwingh, einen eleganten Bau im Stil der Renaissancezeit, haben Besucher von der Höhe des Kirchwegs aus. Morgens sollte man dort sein: Fotografen haben dort den idealen Standort, wenn die Sonne von Osten scheint, raten Mireta und Felix zu Innhausen-Knyphausen. Als bereits 23. Generation bewohnt die Familie das Haus – wie ihre Vorfahren seit Errichtung des Schlosses 1302. Das ist einmalig unter den Burgen und Schlössern im Ruhrgebiet.
Für die Öffentlichkeit ist daher ein Teil des 16 Hektar großen Schlossparks gesperrt, der ab 1866 durch den Gartenarchitekten Carl Eduard Adolph Petzold von einem Barockgarten zum weitläufigen englischen Landschaftspark umgestaltet wurde. Petzold hatte bei Fürst Hermann von Pückler-Muskau gelernt, dem Star unter den Garten- und Landschaftsplanern jener Zeit.
Mireta und Felix zu Innhausen-Knyphausen bewohnen Schloss Bodelschwingh in 23. Generation.
Einige Male im Jahr haben Besucher Zutritt zum Schloss, am Tag des offenen Denkmals im September etwa.
Neben der Adelsfamilie genießen auch Mieter auf Bodelschwingh die besondere Atmosphäre: Stallungen, die Wagenremise und die Scheunen des Anwesens wurden in den 1980er Jahren zu Wohnungen und Büros. Damals musste die Familie die Landwirtschaft in Bodelschwingh aufgeben: Der Neubau der Autobahn A 45 hatte die Felder und Wiesen zerschnitten.
@ schloss-bodelschwingh.de
■ wilhelminische Zeit: Schloss Schwansbell
Einzigartig unter den Schlössern des Ruhrgebietes ist Schloss Schwansbell am Stadtrand von Lünen. Es entstand zu wilhelminischen Zeiten ab 1872 als Wasserschloss im Stil der englischen Neogotik.
Kurios ist hier, dass die Gräfte – der Wassergraben – nicht das Schloss umschließt, sondern lediglich eine kleine Garteninsel mit einem Pavillon. Auf dem Eiland stand in alten Zeiten eine kleine Burg, daher mag wohl die Anlage des Wassergrabens stammen.
Auch Schwansbell hat viele Nutzungen erlebt: Adelssitz, Waisenhaus, im Zweiten Weltkrieg Pilotenunterkunft, später Sitz des städtischen Hochbauamtes. Heute gibt es hier Wohnungen und Büros, im benachbarten Gesindehaus ist das Stadtmuseum Lünen mit einer Spielzeug- und Puppensammlung untergebracht. Rundwege führen durch den Schlosspark mit seinen besonderen Pflanzenarten wie Trompetenbaum, Christusdorn, Robinie und Tulpenbaum.
@ www.luenen.de