Ärztin platzt der Kragen
Kammer-Präsidentin Wenker kritisiert Impf-Bürokratie
Hannover – Dass das Impfen in Deutschland immer noch nicht flächendeckend funktioniert, bringt die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Martina Wenker, auf die Palme. In einem Ð-Interview macht sie ihrem Ärger Luft: „Es mangelt nicht an Impfstoff. Es hakt vielmehr an der unglaublichen Bürokratie: bei der Terminvergabe und bei der Reihenfolge der Priorisierungen“, so die Medizinerin.
Was jetzt passieren müsse, formuliert sie ganz klar: „Impfen, impfen, impfen. Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und sieben Tage im Mehrschicht-Betrieb durchimpfen.“Alle, die impfen könnten, müssten impfen dürfen. Wenker weiter: „Damit meine ich die Impfzentren, die Impfkostenlose
teams, die Haus- und Betriebsärzte. Impfen ist kein Hexenwerk. Wir brauchen jetzt keine Modellprojekte mehr, in denen wir noch impfen üben müssen. Jeder Impfstoff, der verfügbar ist, muss verteilt werden. Ich sage: Einfach machen!“
Dass es bei der Bekämpfung der Pandemie massiv hakt, wurde am Wochenende deutlich. Flächendeckende
Schnelltests auf das Coronavirus bei Ärzten, in Impfzentren und Apotheken wird es in Niedersachsen zunächst noch nicht geben. Weder der Bund noch das Land Niedersachsen hätten flächendeckende Schnelltests für die kommende Woche angekündigt, hieß es aus Hannover.
Heiß begehrt waren am Samstag die Corona-Selbsttests, die es bei Aldi und bei Lidl online zu kaufen gab. Die Artikel waren schnell ausverkauft. In der neuen Woche werde mit weiteren Lieferungen gerechnet, teilte Aldi mit. Lidl kündigte an, „in Kürze“Tests auch in allen Filialen zu verkaufen. Auch Rewe und Edeka wollen bald damit beginnen. Die DrogeriemarktKetten Rossmann und dm planen den Start für Dienstag. Apotheken wollen die LaienSelbsttests
ebenfalls anbieten.
Derweil können sich das Kita-Personal und Beschäftigte an Grund- und Förderschulen in Niedersachsen ab sofort mit hoher Priorität der Kategorie zwei gegen das Coronavirus impfen lassen. Der entsprechende Erlass sei an die Impfzentren gegangen. Diese sollten „zeitnah“Kontakt mit Schulen und Trägern der Kinderund Jugendhilfe aufnehmen und Termine mit dem „impfwilligen Personal“ausmachen, teilten das niedersächsische Gesundheits- und das Kultusministerium mit. Alle Personen, die in der Kindertagesbetreuung sowie an Grund- und Förderschulen tätig seien, sollten ein Impfangebot erhalten.
■ Das Interview mit Dr. Martina Wenker lesen Sie auf
Frau Wenker, Sie sind derzeit auch als Impfärztin im Einsatz: Warum hinken wir im Vergleich zu anderen Ländern hinterher? Wenker: Niedersachsen hat bundesweit die geringste Impfquote, Deutschland liegt weltweit auf Platz 44. Es mangelt nicht an Impfstoff. Es hakt vielmehr an der unglaublichen Bürokratie: bei der Terminvergabe und bei der Reihenfolge der Priorisierungen. Wir sind noch nicht einmal mit der Priorisierungsgruppe 1 durch. Das ist unfassbar!
Was fordern Sie konkret? Wenker: Impfen, impfen, impfen. Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und sieben Tage im Mehrschicht-Betrieb durchimpfen. Alle, die impfen können, müssen impfen dürfen. Damit meine ich die Impfzentren, die Impfteams, die
Haus- und Betriebsärzte. Impfen ist kein Hexenwerk. Wir brauchen jetzt keine Modellprojekte mehr, in denen wir noch impfen üben müssen. Jeder Impfstoff, der verfügbar ist, muss verteilt werden. Ich sage: Einfach machen!
Es gibt eine klare Priorisierung. Soll die etwa aufgehoben werden?
Wenker: Nein, aber wenn Impfstoff übrig ist, sollte man unkompliziert zur Priorisierungsgruppe 2 oder 3 gehen können. Es kann doch nicht sein, dass das Termin-Management erst von Platz 99 auf 97 schieben muss. Die großen Gruppen bilden doch die bevorzugt zu impfenden Menschen ab. Daher sage ich: Einfach machen! Die Menschen wollen sich impfen lassen.
Wo gibt es noch bürokratische Hürden?
Wenker:
Die Ärzte werden immer wieder ausgebremst. Dabei sind sie auch WochenendArbeit gewöhnt. Ich bin fassungslos, dass ständig gesagt wird: „Das geht so nicht“. Wir sollten endlich anpacken. Die Länder machen es uns doch weltweit vor! Ein Virus bekämpft man nicht mit neuen Verordnungen und Gesetzen, sondern indem wir Hand anlegen und Patienten behandeln.
Die Politik will ab Ende März auch in den 5000 niedersächsischen Hausarzt-Praxen impfen lassen. Funktioniert das mit dem Termin-Management? Wenker: Es ist viel zu kompliziert. Ich meine, die Terminorganisation sollte dezentral erfolgen. Wir haben doch eine ausgeklügelte Struktur von Versorgern im Gesundheitssystem. Wer sich impfen lassen möchte, kann einen Termin bei seinem Haus- oder Betriebsarzt vereinbaren. Schulen sollten unkompliziert ein Impfteam bestellen können.
Wenn alle das machen, was sie schon immer machen, wird es auch funktionieren.
Bürger stürmen die Discounter, um Schnelltests zu kaufen. Wie beurteilen Sie die Tests? Wenker: Das zeigt, wie groß die Bereitschaft der Menschen ist, in der Pandemie aktiv mitzuhelfen. Ein Großteil will sich impfen und testen lassen. Natürlich muss man wissen, dass nach einem positiven Schnelltest umgehend ein PCR-Test folgen muss. Ich glaube aber, dass über 90 Prozent mit den Schnelltests sehr verantwortungsvoll umgehen werden und die Gefahr des Missbrauchs eher gering ist. Es gibt beispielsweise Familien, die gern wieder die Oma besuchen wollen oder Lehrer, die Sicherheit brauchen, wenn sie morgens zur Schule gehen. Das ist richtig. Und das Risiko von Superspreader-Events wird deutlich minimiert.