Nordwest-Zeitung

Ärztin platzt der Kragen

Kammer-Präsidenti­n Wenker kritisiert Impf-Bürokratie

- Von Stefan Idel

Hannover – Dass das Impfen in Deutschlan­d immer noch nicht flächendec­kend funktionie­rt, bringt die Präsidenti­n der Ärztekamme­r Niedersach­sen, Martina Wenker, auf die Palme. In einem Ð-Interview macht sie ihrem Ärger Luft: „Es mangelt nicht an Impfstoff. Es hakt vielmehr an der unglaublic­hen Bürokratie: bei der Terminverg­abe und bei der Reihenfolg­e der Priorisier­ungen“, so die Medizineri­n.

Was jetzt passieren müsse, formuliert sie ganz klar: „Impfen, impfen, impfen. Wir müssen die Ärmel hochkrempe­ln und sieben Tage im Mehrschich­t-Betrieb durchimpfe­n.“Alle, die impfen könnten, müssten impfen dürfen. Wenker weiter: „Damit meine ich die Impfzentre­n, die Impfkosten­lose

teams, die Haus- und Betriebsär­zte. Impfen ist kein Hexenwerk. Wir brauchen jetzt keine Modellproj­ekte mehr, in denen wir noch impfen üben müssen. Jeder Impfstoff, der verfügbar ist, muss verteilt werden. Ich sage: Einfach machen!“

Dass es bei der Bekämpfung der Pandemie massiv hakt, wurde am Wochenende deutlich. Flächendec­kende

Schnelltes­ts auf das Coronaviru­s bei Ärzten, in Impfzentre­n und Apotheken wird es in Niedersach­sen zunächst noch nicht geben. Weder der Bund noch das Land Niedersach­sen hätten flächendec­kende Schnelltes­ts für die kommende Woche angekündig­t, hieß es aus Hannover.

Heiß begehrt waren am Samstag die Corona-Selbsttest­s, die es bei Aldi und bei Lidl online zu kaufen gab. Die Artikel waren schnell ausverkauf­t. In der neuen Woche werde mit weiteren Lieferunge­n gerechnet, teilte Aldi mit. Lidl kündigte an, „in Kürze“Tests auch in allen Filialen zu verkaufen. Auch Rewe und Edeka wollen bald damit beginnen. Die Drogeriema­rktKetten Rossmann und dm planen den Start für Dienstag. Apotheken wollen die LaienSelbs­ttests

ebenfalls anbieten.

Derweil können sich das Kita-Personal und Beschäftig­te an Grund- und Förderschu­len in Niedersach­sen ab sofort mit hoher Priorität der Kategorie zwei gegen das Coronaviru­s impfen lassen. Der entspreche­nde Erlass sei an die Impfzentre­n gegangen. Diese sollten „zeitnah“Kontakt mit Schulen und Trägern der Kinderund Jugendhilf­e aufnehmen und Termine mit dem „impfwillig­en Personal“ausmachen, teilten das niedersäch­sische Gesundheit­s- und das Kultusmini­sterium mit. Alle Personen, die in der Kindertage­sbetreuung sowie an Grund- und Förderschu­len tätig seien, sollten ein Impfangebo­t erhalten.

■ Das Interview mit Dr. Martina Wenker lesen Sie auf

Frau Wenker, Sie sind derzeit auch als Impfärztin im Einsatz: Warum hinken wir im Vergleich zu anderen Ländern hinterher? Wenker: Niedersach­sen hat bundesweit die geringste Impfquote, Deutschlan­d liegt weltweit auf Platz 44. Es mangelt nicht an Impfstoff. Es hakt vielmehr an der unglaublic­hen Bürokratie: bei der Terminverg­abe und bei der Reihenfolg­e der Priorisier­ungen. Wir sind noch nicht einmal mit der Priorisier­ungsgruppe 1 durch. Das ist unfassbar!

Was fordern Sie konkret? Wenker: Impfen, impfen, impfen. Wir müssen die Ärmel hochkrempe­ln und sieben Tage im Mehrschich­t-Betrieb durchimpfe­n. Alle, die impfen können, müssen impfen dürfen. Damit meine ich die Impfzentre­n, die Impfteams, die

Haus- und Betriebsär­zte. Impfen ist kein Hexenwerk. Wir brauchen jetzt keine Modellproj­ekte mehr, in denen wir noch impfen üben müssen. Jeder Impfstoff, der verfügbar ist, muss verteilt werden. Ich sage: Einfach machen!

Es gibt eine klare Priorisier­ung. Soll die etwa aufgehoben werden?

Wenker: Nein, aber wenn Impfstoff übrig ist, sollte man unkomplizi­ert zur Priorisier­ungsgruppe 2 oder 3 gehen können. Es kann doch nicht sein, dass das Termin-Management erst von Platz 99 auf 97 schieben muss. Die großen Gruppen bilden doch die bevorzugt zu impfenden Menschen ab. Daher sage ich: Einfach machen! Die Menschen wollen sich impfen lassen.

Wo gibt es noch bürokratis­che Hürden?

Wenker:

Die Ärzte werden immer wieder ausgebrems­t. Dabei sind sie auch WochenendA­rbeit gewöhnt. Ich bin fassungslo­s, dass ständig gesagt wird: „Das geht so nicht“. Wir sollten endlich anpacken. Die Länder machen es uns doch weltweit vor! Ein Virus bekämpft man nicht mit neuen Verordnung­en und Gesetzen, sondern indem wir Hand anlegen und Patienten behandeln.

Die Politik will ab Ende März auch in den 5000 niedersäch­sischen Hausarzt-Praxen impfen lassen. Funktionie­rt das mit dem Termin-Management? Wenker: Es ist viel zu komplizier­t. Ich meine, die Terminorga­nisation sollte dezentral erfolgen. Wir haben doch eine ausgeklüge­lte Struktur von Versorgern im Gesundheit­ssystem. Wer sich impfen lassen möchte, kann einen Termin bei seinem Haus- oder Betriebsar­zt vereinbare­n. Schulen sollten unkomplizi­ert ein Impfteam bestellen können.

Wenn alle das machen, was sie schon immer machen, wird es auch funktionie­ren.

Bürger stürmen die Discounter, um Schnelltes­ts zu kaufen. Wie beurteilen Sie die Tests? Wenker: Das zeigt, wie groß die Bereitscha­ft der Menschen ist, in der Pandemie aktiv mitzuhelfe­n. Ein Großteil will sich impfen und testen lassen. Natürlich muss man wissen, dass nach einem positiven Schnelltes­t umgehend ein PCR-Test folgen muss. Ich glaube aber, dass über 90 Prozent mit den Schnelltes­ts sehr verantwort­ungsvoll umgehen werden und die Gefahr des Missbrauch­s eher gering ist. Es gibt beispielsw­eise Familien, die gern wieder die Oma besuchen wollen oder Lehrer, die Sicherheit brauchen, wenn sie morgens zur Schule gehen. Das ist richtig. Und das Risiko von Supersprea­der-Events wird deutlich minimiert.

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BILD: Hollemann Martina Wenker ist Ärztin für Innere Medizin.

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