In der Krise zeigt sich Charakter
Armin Maus über das Ausmaß der Maskenaffäre von Löbel und Nüßlein
In der Krise bewährt sich der Charakter – oder auch nicht. Die beiden Unionsabgeordneten Nikolas Löbel und Georg Nüßlein hielten es auf dem Höhepunkt der Corona-Krise für vertretbar, sechsstellige Summen zu kassieren, für die Vermittlung von Lieferverträgen für dringend benötigte Schutzmasken. Mit dieser Einschätzung stehen sie allein.
Wer angetreten ist, dem Wohl des deutschen Volkes zu dienen, darf solche Geschäfte nicht machen. Die Empörung darüber könnte größer nicht sein. Beide Abgeordneten haben inzwischen Partei und Fraktion verlassen, Löbel besaß darüber hinaus immerhin den Anstand, sein Abgeordnetenmandat niederzulegen. Nüßlein, er war gerade noch stellvertretender Fraktionsvorsitzender, ist dazu bisher nicht bereit. Er beklagt sich, er werde vorverurteilt.
Missbrauch des Mandats
In der Krise bewährt sich die Klugheit – oder auch nicht. Beunruhigend ist die Vorstellung, dass Männer mit so offenkundigen Defiziten bei Augenmaß und Selbstreflexion über wesentliche Fragen unseres Landes entschieden haben. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen von ihren Abgeordneten mehr erwarten.
Wer Abgeordneter ist, muss seine Berufstätigkeit nicht vollständig aufgeben. Dies ist ein nachvollziehbares Zugeständnis an Freiberufler und andere, die das Parlament braucht, um so etwas wie ein sachverständiger Spiegel der Gesellschaft zu sein. Nur gehen Parteien, Regierung und Bundestag klug genug mit den Risiken um, die diese Freiheit in sich trägt?
Der Deutsche Bundestag versammelte die Verhaltensneten regeln für seine Mitglieder auf 62 Seiten, die Formulierungen des Abgeordnetengesetzes und des Parteiengesetzes sind von erfreulicher Klarheit und Allgemeinverständlichkeit.
Aber Löbel und Nüßlein zeigen, dass alle bisherigen Verbote, Anzeige- und Veröffentlichungspflichten den Missbrauch des Mandats nicht verhindern. Beide Abgeordneten wähnten sich sogar im Recht. Spätestens der Fall des ehemaligen CDU-Hoffnungsträgers Philipp Amthor, der politischen Einfluss gegen
Unternehmensanteile verhökerte, zeigte die Lücken in Transparenz und Kontrolle.
Die Fraktionsführung der Union hat gegen das Verhalten von Löbel und Nüßlein eindeutig Stellung bezogen. Das war notwendig. Ihr aufklärerischer Gestus wirkt aber wenig überzeugend. Die selbstgefällige Schlagzeile auf der Internetseite der CDU/ CSU-Fraktion, „Fraktionsführung greift hart durch“, ist so unfreiwillig komisch, dass der Patient zur Behandlung auf die NDR-Intensivstation eingeliefert werden sollte.
In der Krise beweist sich die Handlungsfähigkeit – oder auch nicht. Ein strenger Verhaltenskodex soll jetzt entstehen? Wenn man an die Wirksamkeit der geltenden Regeln nicht glaubt, warum hat man sie nicht längst verschärft? Warum war und ist die Offenlegung sämtlicher wirtschaftlicher Verflechtungen zwischen Lobbyisten und Parlamentariern bei einem Teil des politischen Berlins das unbeliebteste Thema, gleich nach dem staureichen Berliner Innenstadtverkehr?
Der Fraktionsspitze geht es allzu offensichtlich darum, den Rest der Unionsparlamentarier vor dem Generalverdacht der Geschäftemacherei zu schützen. Dieser Generalverdacht wäre so falsch wie verheerend. Aber es wird nun nicht ohne drastische Schritte gehen. Amthor, Nüßlein und Löbel haben den Ruf des Parlaments viel tiefergehend beschädigt, als es sich viele in Berlin eingestehen.
Was die Unionsfraktion und mit ihr der ganze Bundestag, was auch alle Landesparlamente nun bräuchten, wäre jene Transparenz, die herzustellen die Mehrheit der Abgeord
bisher nicht bereit war. Nota bene – nicht die Arbeitskontakte zwischen Abgeordneten und Verbänden sind das Problem. Sie sind für die parlamentarische Arbeit unverzichtbar. Aber wenn Geld ins Spiel kommt, sollten alle Abgeordneten zum Schutz ihrer Glaubwürdigkeit vollständige Transparenz schaffen.
Skandal zur Unzeit
In der Krise bewährt sich die Kompetenz – oder auch nicht. Der Skandal trifft unser politisches System zu einem Zeitpunkt, in dem Pleiten und Pannen ein kritisches Ausmaß erreichen. Zu wenig Impfstoff, massive Organisationsprobleme bei der Vergabe der Impftermine, erschreckend nachlässiger Umgang mit der Existenznot von Unternehmen, eine weitere zunächst folgenlose Test-Ankündigung des Bundesgesundheitsministers, die sträfliche Vernachlässigung des Know-how der kommunalen Ebene durch Bund und Länder und ein Regelungsdschungel, in dem sich viele Bürgerinnen und Bürger kaum noch zurechtfinden – das bisher recht erfolgreiche Corona-Management von Bund und Ländern droht, in eine Schieflage zu geraten.
Das Ende der Corona-Krise haben wir erst erreicht, wenn der Großteil der Bürgerinnen und Bürger geimpft ist. Der Beschleunigung sind Grenzen gesetzt – aber sie dürfen nicht in der Qualität des politischen Managements liegen. Es darf nicht bis zum Ende des Jahres dauern, bis wir zu Verhältnissen zurückkehren, in denen es normal ist, sein Geschäft und sein Restaurant zu öffnen, in Gemeinschaft Sport zu treiben, ins Kino zu gehen und Freundschaften in größerer Runde zu pflegen.