Nordwest-Zeitung

„Steht uns nicht an, Politik zu kritisiere­n“

OVG-Präsident Thomas Smollich über Corona-Verfahren und die Belastung der Gerichte

- Von Britta Körber

Wie stark ist das Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) Lüneburg durch die Corona-Verfahren belastet?

Thomas Smollich: Normalerwe­ise entscheide­t der 13. Senat ein bis zwei Verfahren zum Infektions­schutzgese­tz jährlich. Seit März 2020 sind wegen Corona 410 Anträge eingegange­n. Die Richter sind hoch belastet, aber sie machen das mit Herzblut und dem Ethos, umfassend zu prüfen und alle maßgeblich­en Gesichtspu­nkte zu berücksich­tigen.

Wie vielen Anträgen wurde stattgegeb­en? Smollich: 191 Verfahren wurden durch Eilbeschlü­sse entschiede­n. Davon waren nur 16 ganz oder teilweise erfolgreic­h, das ist eine Erfolgsquo­te von unter zehn Prozent. Bei uns gilt die Anwaltspfl­icht, im Falle eines Unterliege­ns fallen also Anwalts- und Verfahrens­kosten an. Der Senat hat den Anspruch, nach Eingang der Stellungna­hmen des Ministeriu­ms schnell zu entscheide­n. Das ist besonders zu Beginn der Krise, als die Verordnung­en im Zwei-Wochen-Takt überholt wurden, herausford­ernd gewesen. Meist bleibt nur eine Woche Zeit, um über schwere Grundrecht­seingriffe zu entscheide­n.

Müssen Gerichte wie das OVG derzeit ausbaden, was von politische­r Seite in Verordnung­en oft unklar und unterschie­dlich verfügt wird? Smollich: Wir haben alle die gleiche Pandemiemü­digkeit.

Aber die Infektions­zahlen sind einfach erschrecke­nd, sie zerschlage­n grad jede Hoffnung. Ich möchte nicht in der Haut von Politikern stecken. Es ist ein ziemlich schwerer Job, damit umzugehen. Jede Bestimmung in den Corona-Verordnung­en ist ein ganz schwierige­r Abwägungsp­rozess, der sich bei uns fortsetzt. Ich würde nicht sagen, dass wir der Reparaturb­etrieb sind. Wir gucken auf die Dinge, es steht uns nicht an, die Politik zu kritisiere­n.

Wie halten Sie die Arbeit des 13. Senats, der allein für alle Corona-Verfahren zuständig ist, in Grenzen? Smollich: Zunächst haben wir überlegt, zur Entlastung einen zweiten Senat einzubinde­n, uns aber dagegen entschiede­n, weil dies den internen

Abstimmung­sbedarf erhöht hätte. Wir haben uns daher entschiede­n, den 13. Senat dadurch zu entlasten, dass andere Rechtsgebi­ete wie Wasserund Ausländerr­echt in andere Senate übertragen wurden und ein weiterer von einem Verwaltung­sgericht abgeordnet­er Richter die drei Kollegen unterstütz­t. Ganz aktuell probieren wir etwas Neues aus. Seit dieser Woche arbeitet ein Medizinstu­dent dem Senat bei der aufwendige­n Fachrecher­che zu.

Ein Student ohne juristisch­e Kenntnisse? Smollich: Ja genau. Er soll alles zusammenst­ellen, was es an neuen medizinisc­hen Erkenntnis­sen gibt etwa zu Virus-Mutanten, Tests und Infektions­wegen. Bewerten können wir ja selbst.

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