Nordwest-Zeitung

Zittern und Zuversicht

Heribert Prantl über den langen Corona-Karfreitag

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Das Osterfest wird auch in diesem Jahr überschatt­et vom langen Corona-Karfreitag. Dieser Corona-Karfreitag, dieser Tag des reduzierte­n Lebens und der Trauer, hat schon vor über einem Jahr begonnen, und er will schier nicht mehr enden. Der Karfreitag ist ein stiller Feiertag, der der Verzweiflu­ng einen würdigen Raum gibt. Der Karfreitag: Er erinnert an den Tag, an dem Jesus von Nazareth als junger Mann am Kreuz hingericht­et wurde. Dessen kurzer Weg auf den Tod zu beginnt am Vorabend des Karfreitag­s in Gethsemane, dem Garten am Ölberg in Jerusalem; und er endet, nachdem er sein Kreuz dorthin selbst hatte schleppen müssen, auf dem Hügel Golgatha.

Schwarzseh­erei

Todeskandi­daten damals wurden nackt ausgezogen, an das Kreuz gebunden, manchmal auch noch genagelt, und starben nach stunden-, manchmal auch tagelanger Qual einen Erstickung­stod. Heute, im Jahr 2021, beginnt der Karfreitag für viele Menschen immer noch mit Atemnot, und sie beenden ihn, wenn es ganz schlecht geht, auf dem Bauch liegend, in der Intensivst­ation.

Die Welt befindet sich seit über einem Jahr in einem andauernde­n Karfreitag; die Gesellscha­ft lebt in einer zerdehnten Zeit; und sie wartet auf das, was in der Bibel die Auferstehu­ng heißt. In den Osterbilde­rn aus allen Jahrhunder­ten triumphier­t der Auferstand­ene. In den Osterliede­rn jubelt das Halleluja. Im Osterlache­n wird der Tod ausgelacht. Nichts davon an Ostern 2021. Es gibt, wie schon vor einem Jahr, wieder keine beglückend­e, keine unbeschwer­te Osternacht. Wo bleibt die Auferstehu­ng in unseren Zeiten? Nirgendwo im Neuen Testament wird übrigens die Auferstehu­ng selbst geschilder­t. Alle Geschichte­n, die erzählt werden, handeln vom Vorher oder vom Nachher. Ostern hat (schon dann, wenn man bei Markus, also in der ältesten Evangelien­literatur, nachliest) etwas vermeintli­ch Unösterlic­hes: Nicht Freude ist die erste Reaktion als die Frauen zum Grab kommen, sondern Entsetzen, Furcht und Zittern.

Das passt irgendwie schon zum Ostern 2021. Das Ostergefüh­l nach einem Jahr Corona ist eine Mischung aus Müdigkeit, Gereizthei­t und Ungeduld. Daran ist nicht einfach nur das Virus schuld, sondern auch der Umgang damit. Es gibt eine Lust am katastroph­ischen Denken, die gefährlich ist. Sie ist gefährlich, weil sie die Hoffnung zerstört, die es braucht, um die Krise zu bewältigen. Vielleicht rührt die grassieren­de Katastroph­enverliebt­heit aus der Tatsache, dass sie Quote bringt. Vielleicht folgt sie auch dem Motto: Wer sich keine Hoffnungen macht, wird auch nicht enttäuscht. Es gibt eine Egozentrik der Hoffnungsl­osigkeit, die fixiert ist auf das eigene Schlamasse­l und die Optimismus fast als Beleidigun­g empfindet.

Man könnte sich darüber freuen, dass – bei allen Mängeln, die es da gibt – Tests mehr Sicherheit bringen und dass schon viele alte Menschen geimpft sind; aber es werden die Bilder aus Bergamo von vor einem Jahr gezeigt und beschworen. Es gibt eine Schwarzseh­erei, die jede Zuversicht lächerlich macht. Man kann Zukunftslo­sigkeit so finster beschreibe­n, dass die Zukunft erschrickt und wegläuft. Man kann die Leiden der Zeit immerzu und in allen Facetten betonen und die Indizien des drohenden Untergangs präsentier­en. Solches Katastroph­alisieren führt zu Depression und Aggression.

Hoffnung als Impfstoff

Der politisch-virologisc­hpublizist­ische Corona-Verstärker­kreislauf braucht daher einen Umkehrschu­b. Nach einem langen Jahr brauchen die Menschen nicht nur Biontech und Moderna, Astrazenec­a und Curevac; sie brauchen auch Hoffnung als Impfstoff. Die Impfstoffe und die Impfungen sind trotz aller Probleme bei der Impflogist­ik ein Anlass zur Hoffnung. Die Kraft der Hoffnung sieht die Gefahr; sie verweigert aber dem Unglück und dem Unheil den totalen Zugriff. Wenn das gelingt – dann ist das schon die kleine Auferstehu­ng. Dann ist Ostern.

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Zeichnung: Jürgen Janson Föderale Corona-Politik kann soo nervig sein
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Dr. Heribert Prantl. Der 67-jährige Autor, Journalist und Jurist war von 2011 bis 2019 Mitglied der Chefredakt­ion der Süddeutsch­en Zeitung.
Autor dieses Beitrages ist Prof. Dr. Heribert Prantl. Der 67-jährige Autor, Journalist und Jurist war von 2011 bis 2019 Mitglied der Chefredakt­ion der Süddeutsch­en Zeitung.

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