Erinnerung an Kind als Kostbarkeit bewahren
Beistand für verwaiste Eltern und trauernde Geschwister – Weitverzweigtes Netzwerk bietet Hilfe und Begleitung an
Im Nordwesten – Wenn ein Kind für immer diese Welt verlässt, ist das ein unermesslich großer Verlust für seine Eltern und Geschwister. Seine persönlichen Schätze werden von ihnen als Kostbarkeiten aus einer Zeit erlebt, die nie mehr wiederkommen wird. Die hinterlassenen Spuren erinnern an das gemeinsame Leben, welches aber ganz individuelle Trauerreaktionen hervorruft.
Ein Verabschieden des verstorbenen Kindes ist oft ein langer, schmerzvoller Prozess für die Angehörigen – aber trotzdem notwendig für das Weiterleben. Hilfe und Begleitung erhalten Betroffene seit 24 Jahren in den Selbsthilfegruppen der Verwaisten Eltern und trauernden Geschwister in ganz Deutschland. Der Bundesverband hat heute über 92000 Mitglieder registriert, bildet Trauerbegleiter aus, leistet Rechtsbeistand und verschickt Rundbriefe an Vereine und Selbsthilfegruppen.
„Nicht allein lassen“
Hier fand auch Vanessa Wübbelmann (40) Beistand für sich und ihre Familie, als ihr Sohn Malte vor acht Jahren plötzlich verstarb. Heute ist sie als Trauerbegleiterin in der Regionalgruppe Veid-OSNordland tätig, betreut im Team verwaiste Eltern und Geschwister. „Uns geht es darum, die Betroffenen nicht allein zu lassen, sondern offen zu sein für die Bedürfnisse der Trauernden. Da darf jeder seinen eigenen Weg gehen, auf seine ganz eigene Weise trauern“, sagt sie. Die einen erzählen gern von ihren Erinnerungen, ander e nicht. Alle trägt der gemeinsame Schmerz, aber auch der Verlust und die Liebe verbinden miteinander.
Manche Trauernden kommen schon sechs Wochen nach dem Verlust in die Selbsthilfegruppe, manche erst nach zwei Jahren oder noch später. „Wenn ein Kind stirbt, fällt man in ein tiefes Loch, aber man kann krabbeln, um da herauszukommen. Man fällt zwar immer wieder hinein, aber im Laufe der Zeit bilden sich natürliche Stufen, die einem helfen, wieder hochzukommen“, erklärt Vanessa Wübbelmann. Irgendwann bilde sich das Bewusstsein, dass dieser ausgetretene Weg da ist. „Wenn man sich der Trauer stellt, dann gibt es ein Nachher, dass es wieder schön wird mit diesem Kind. Denn es ist immer noch da, hat aber einen anderen Platz.“
Das Jahresprogramm der Selbsthilfegruppen macht den Trauernden verschiedene Angebote wie zum Beispiel eine Akutgruppe, ein gemeinsames Grillen mit den Familien, ein Jahrestreffen, ein gemeinsa
Vanessa Wübbelmann Frühstück, kreative Workshops und vieles mehr.
Es gibt zudem Themenabende und den Weltgedenktag. Bei den Treffen werden gemeinsame Rituale entwickelt und gelebt, um dem Vergessen und Verdrängen entgegenzuwirken. Die konfessionsunabhängigen Angebote sind vielfältig, auch an die Begleitung von Eltern mit Sternenkindern (ungeborene Kinder) und trauernde Geschwister wird gedacht.
Veränderte Rituale
„In den letzten Jahrzehnten haben sich nicht nur die Familienstrukturen geändert, sondern auch die Trauer- und Bestattungskultur. In der Großfamilie wurde früher zu Hause geboren und gestorben. Der
Niemand ist vergessen: Individuell gemalte Seelenbretter erinnern an die Verstorbenen.
Leichnam verblieb bis zur Beisetzung im Haus der Familie, wo der Verstorbene aufgebahrt war und die Familie Totenwache hielt“, verweist Wübbelmann auf den gesellschaftlichen Wandel. Damals seien selbst die Kinder in die Sterbeund Bestattungsriten einbezogen worden.
All diese Rituale hätten damals zur Akzeptanz und Integration von Tod, Verlust und Trauer in das Leben der Angehörigen geführt. Aufgrund der jahrelangen Tabuisierung des Themas begegneten trauernden Angehörige heute oftmals Berührungsängste und unsenmes
sible Äußerungen in ihrem Umfeld. „Leider zieht dieses Verhalten Stigmatisierung, Hilflosigkeit und Vereinsamung der Betroffenen nach sich, Dabei brauchen gerade Menschen in dieser schweren Situation ein stabiles, zugewandtes Umfeld, das Anteil nimmt, zuhört und das verstorbene Kind mit einbezieht“, weiß Wübbelmann als erfahrene Trauerbegleiterin.
Stattdessen würde erwartet, dass Betroffene gesellschaftlich wieder schnell funktionieren. „Sie sollen vor allem die existierenden Normen der westlichen Kultur
Laut Trauerforschung sollte die Zeit vom Todestag bis zur Bestattung aber gut durchlebt werden. Diese sogenannte „Schleusenzeit“dürfte deshalb nicht fremdbestimmt sein, sondern sollte die Bedürfnisse der Trauernden beachten, damit der weitere Trauerprozess einen positiven Verlauf nehmen kann. Das erleichtere eines Tages das dankbare Erinnern an die schönen Momente mit dem verstorbenen Kind und Geschwister.
Die Corona-Pandemie hat die Begleitung der verwaisten Eltern und trauernden Geschwister leider sehr eingeschränkt, berichtet Wübbelmann: „Wir machen zwar tägliche Begleitungen am Telefon, würden aber die Betroffenen gern persönlich aufsuchen. Für sie ist es zurzeit ganz besonders schwer, wenn sie von ihrem sterbenden Kind noch nicht mal Abschied nehmen können!“