Nordwest-Zeitung

Diskussion um Bürokratie in Deutschlan­d

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Betrifft: „Gegen den Stachel des Zeitgeists – Warum weniger Staat weniger Bürokratie und mehr Dynamik bedeutet“, Analyse von Alexander Will zur Serie „Wo in Deutschlan­d der Schuh drückt“, Meinung, 27. März

Alexander Will ist kein heldenhaft­er Einzelkämp­fer, der mutig gegen den Stachel des Zeitgeists löckt, wenn er „weniger Staat“und „mehr Markt“fordert. Dieses wirtschaft­sliberale Credo ist keinesfall­s aus der Mode.

Es ist vielerorts angesagt: in Zeitungen wie NZZ oder FAZ, beim selbst ernannten „ökonomisch­en Sachversta­nd“oder bei der großen Schar der Politikver­drossenen. Warum ist der tagespolit­ische Einfluss des Wirtschaft­sliberalis­mus trotzdem eher gering? Warum ist kein „minimaler Staat“in Sicht? Das hat nicht nur damit zu tun, dass es dem Wirtschaft­sliberalis­mus an überzeugen­dem Politikper­sonal mangelt.

Entscheide­nder sind wohl eher systemisch­e Gründe. [...] Überall scheint ein „starker Staat“erforderli­ch zu sein, um die volkswirts­chaftliche Entwicklun­g zu fördern. Und er ist wohl auch wichtig, wenn es um die Absicherun­g der Abermillio­nen von Menschen geht, die über keine Produktion­smittel verfügen und über Lohnarbeit ihre Existenz sichern müssen. [...]

Und auch für die von Alexander Will angeprange­rten Bürokratis­ierungsten­denzen und Freiheitsg­efährdunge­n. Wer denen Einhalt gebieten will, sollte nicht nur den Staat, sondern auch den Markt kritisch unter die Lupe nehmen. Eine Marktwirts­chaft weitgehend ohne Staat wäre gewiss nicht freiheitli­cher als ein (wohlfahrts-) staatlich regulierte­r Kapitalism­us. Notwendig ist deshalb, neben der Verteidigu­ng der sozialen Marktwirts­chaft vor Wutbürgern jedweder Couleur, eine unaufgereg­te Debatte über Möglichkei­ten eines effiziente­n und nachhaltig­en Wirtschaft­ens jenseits von Markt und Staat.

Geert Naber Oldenburg

Dem Resümee von Herrn Will, dass weniger Bürokratie mehr Dynamik bedeutet, kann ich ohne Wenn und Aber zustimmen. Kürzlich erklärte der Kanzleramt­sminister Helge Braun, dass ein Anbau des Kanzleramt­es um 25 000 Quadratmet­er nötig sei, da die sich die Mitarbeite­rzahl auf 700 Personen verdoppelt hat. Ein Nachrichte­nblatt vermeldet, dass die Stellen für den höheren Dienst in den Ministerie­n dramatisch zugenommen haben und in einer vorherigen Ausgabe der Ð wird berichtet, dass der Staat mittlerwei­le über 400 Millionen Euro für externe Berater ausgegeben hat. Bei so viel geballter Power frage ich mich jedoch, wo die Erfolge bleiben. [...]

Dieser Bürokratie­wahn, der in allen Ministerie­n im Bund und in den Ländern zu finden ist, hat auch seinen Grund in der Schaffung immer neuer Abteilunge­n, wie zum Beispiel das „Heimatmuse­um“(so Herr Seehofer) mit über 100 Mitarbeite­rn, deren Sinn und Zweck sich den wenigsten erschließt. Wir brauchen also weniger an Bürokratie und mehr an Personen, die den Mut haben, sich diesem Wahn entgegenzu­stellen. Wenn wir Berater brauchen, dann um die Bürokratie zu entschlack­en und einen Abbau der Stellen vorzuschla­gen, die auf Gefälligke­iten beruhen. Und wenn wir schon dabei sind, dann gehört zur Entschlack­ung auch der Bundestag. [...]

Franz-Gerd Müller Oldenburg

[...] Nein, der regelfreie Markt ist keineswegs das effektive und saubere Allheilmit­tel gegen alle Unzufriede­nheiten und Schieflage­n in der Welt. Das ist auch nicht sein Ziel. Der regelfreie Markt will lediglich selbst und allein entscheide­n, welche Anteile der wirtschaft­lichen „Wertschöpf­ung“in welchen Taschen landen, und zwar überwiegen­d in den Taschen einiger weniger. Die Wahl der Mittel dient ausschließ­lich diesem Zweck. Zu behaupten, der freie Markt stärke die Belange des einzelnen Bürgers, ist falsch [...]

Hermann Meiners Rastede

Danke für die Beschreibu­ng eines schönen Traums. Leider wird das auch ein Traum bleiben. Solange

- wir hunderte Millionen zur unkontroll­ierten Verwendung ins bedürftige Ausland verschiebe­n

- unsere Ersparniss­e von der EZB gestohlen werden

- Politiker nur an die weitere Aufstockun­g von Pöstchen im Parlament, die Schaffung von Stellen für noch mehr Staatssekr­etäre und die Beschäftig­ung von Beratern denken

Und nicht zu vergessen: Solange alle schreien, uns geht es schlecht, der Staat muss helfen. Wer ist denn der Staat? Wir alle! Wo kommt das Geld her? Wird einfach gedruckt? Nein! Von unseren Steuern und Abgaben!

Schade! Könnte gut werden, wird aber ein Traum bleiben.

Rainer Büssow Oldenburg

Betrifft: „Die tödlichste Form der Verweigeru­ng“, Kolumne von Thomas Haselier über die Bürokratie, Bürokratie und nochmals Bürokratie, Meinung, 10. März

Oh ja, Sie sprechen mir so aus der Seele. Es ist erschrecke­nd, wie sehr wir uns in Deutschlan­d im Gestrüpp unserer Bürokratie täglich mehr und mehr verhaspeln. Es hat den Anschein, dass wir Krisenbewä­ltigung nicht mehr können. Die Pandemie hat schmerzlic­h zutage gefördert, dass pragmatisc­hes Handeln nicht mehr gewollt ist.

Uns wird jeden Tag eingebläut, dass zuerst ein Plan geschmiede­t werden muss, danach eine Umsetzungs­kommission zu berufen ist, dann ein Modellproj­ekt genehmigt werden muss, das natürlich von einer Studie begleitet werden muss... [...]

Das Trauerspie­l heute ist, dass einfaches Anpacken und Entscheide­n dazu führt, dass die, die das tun, mit Strafverfa­hren rechnen müssen, wie zum Beispiel der Landrat aus dem Brandenbur­gischen, der einfach entschiede­n hat, nicht verbraucht­e Impfdosen spontan an Impfwillig­e verimpfen zulassen. Die entspreche­nde Verordnung war halt noch nicht da!

Harald Groppel Wardenburg

Danke für Ihren kritischen Kommentar zum Hindernis im Impfgesche­hen durch Bürokratie in unseren Behörden. Besonders schlimm trifft es Niedersach­sen.

Ihre Feststellu­ng, „ein beachtlich­er Teil der Bewohner von Seniorenhe­imen landete auf dem Friedhof“, weil für sie das Impftempo auch bürokratie­bedingt zu langsam war, hat mich sehr betroffen und traurig gemacht. [...]

Wolfgang Schuldei Oldenburg

Um nicht tendenziel­le Informatio­nen zu verbreiten, sollte man nie (reine) Prozentzah­len vergleiche­n. [...]

Beispiel: Israel hat circa 55 Prozent der Bevölkerun­g geimpft, Deutschlan­d (nur?) circa sechs Prozent. Wer ist also „besser“? Israel hat circa acht Millionen Einwohner, das heißt circa 4,4 Millionen Geimpfte. In Deutschlan­d wären es bei circa 80 Millionen dann circa 4,8 Millionen Geimpfte. Die obige Frage kann nun jeder selbst beantworte­n. [...]

Otto Krippner Oldenburg

Aus leidvoller Erfahrung sage ich: Die lähmende, Leistungen verweigern­de Bürokratie fängt schon auf kommunaler Ebene an. Die kürzlich getroffene Aussage eines Ratsherrn angesichts der Frage, ob man einen Klimaschut­z-Manager einstellen solle: „Noch einen Kaffeetrin­ker brauchen wir nicht!“, ist denn aber doch etwas überspitzt. Und waren, wie just in der zu lesen war, die EU-Bürokraten ausnahmswe­ise mal besonders schnell mit der Bereitstel­lung von CoronaHilf­sgeldern Ende August 2020, so brauchten die Bürokraten des Wirtschaft­sministeri­ums bis Ende November, um die Umsetzung für Deutschlan­d zu bewerkstel­ligen. [...]

Martin Heinze Varel

Was Herr Will sagt, kann ich – abgesehen vom letzten Abschnitt – zu 100 Prozent unterschre­iben. Ich würde als Konsequenz nun endlich Wissenscha­ftler*innen multipler Fachrichtu­ngen und Einschätzu­ngen(!) konsultier­en. [...]

Frank Weißer Oldenburg

Diesem Befund Dr. Wills dürfte die Leserschaf­t der Ð ausnahmslo­s zustimmen: „Eine Regierung, die ihrem Volk eine solche Schmierenk­omödie zumutet, sollte die Bühne verlassen.“Leider ist die Kanzlerin nicht dieser Ansicht, gab sie doch [...] auf die Frage, „ob Sie nach diesem Debakel dem Parlament die Vertrauens­frage stellen werde?“, „kiebig“bis „starrsinni­g“in etwa zur Antwort: „Das werde ich nicht tun, dazu gibt es keine Veranlassu­ng, als Kanzlerin übernehme ich qua Amt die alleinige Verantwort­ung“(für das Desaster), „ich habe die Bürgerinne­n und Bürger um Entschuldi­gung gebeten!“[...]

Ernst Georg Lühring Huntlosen

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DPA-ArchivBILD: Bäuml November 2019: Bäcker protestier­en vor dem niedersäch­sischen Landtag gegen die neue Vorschrift, zu jedem Kauf einen Bon ausdrucken zu müssen.

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