Tischbein und das ‚Goldene Zeitalter‘
Für die Niederlande gilt das 17. Jahrhundert als ein ‚Goldenes Zeitalter’, denn zu dieser Zeit traten dort erstaunliche künstlerische Leistungen und sehr differenzierte Kunstgattungen hervor. Der junge hessische Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein unternahm 1772/1773 eine Reise in die Niederlande, die äußerst prägend für seine weitere Schaffenszeit war.
In ihrer Publikation „Tischbein und die Kunst des ‚Goldenen Zeitalters’ – Rezeptionsgeschichte(n) um 1800“widmet sich die Kunsthistorikerin Stefanie Rehm diesem besonderen Ereignis. Damit befasst sich die Autorin mit einem bisher noch unerforschten Zweig in der Kunstgeschichte und begibt sich auf eine spannende und erfolgreiche Spurensuche.
Auf insgesamt 387 Seiten verfolgt Stefanie Rehm systematisch ihr Forschungsziel, anhand von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein die Rezeption der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert im deutschen Raum zu untersuchen. Vor diesem Hintergrund stellen insbesondere das Bildwissen, die Verbreitung über unterschiedliche Netzwerke von z.B. Sammlern und Kennern sowie die Rezeption der niederländischen Malerei im 17. Jahrhundert wesentliche Schwerpunkte in der Publikation dar und werden in neuem Licht betrachtet. Stefanie Rehm taucht ein in die Niederlande-Reise des Malers, der auch GoetheTischbein genannt wird. Der Dichter Johann Wolfgang von Goethe spielt jedoch ausdrücklich keine Rolle in ihrer Arbeit.
Besonders spannend ist, dass sich die Kunsthistorikerin neben den bisher veröffentlichten Lebenserinnerungen Tischbeins insbesondere mit Archivalien und Manuskripten aus Tischbeins Nachlass auseinandersetzt, die bisher noch nie für eine wissenschaftliche Aufarbeitung verwendet wurden. Zu einem
Großteil entstammen diese Forschungsmaterialien dem Tischbein-Nachlass im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg. Im Archiv der Gemäldegalerie Alte Meister der Museumslandschaft Hessen Kassel sowie im Nachlass von Carl Georg Wilhelm Schiller im Stadtarchiv Braunschweig befinden sich ergänzende Archivalien.
Nicht nur durch die besonderen, zum Teil nun erstmals bearbeiteten Quellen weckt die Autorin großes Interesse, sondern auch durch ihre methodische Herangehensweise. Stefanie Rehm bedient sich unterschiedlicher, transdisziplinärer Forschungsmethoden und passt diese an ihren Untersuchungsgegenstand an, um diesen adäquat erfassen zu können. Für ihre Arbeit kombiniert die Autorin insbesondere Aspekte der Kulturtransferforschung und der Rezeptionsgeschichte.
Die Rezeptionsgeschichte beinhaltet die Beschäftigung mit der Wahrnehmung und Beurteilung von Werken und Künstlern.
Zu Beginn des Buches gibt die Autorin den Leserinnen und Lesern einen wegweisenden Überblick über grundlegende Begrifflichkeiten in ihrer Forschung. Durch diese Arbeit am Begriff schafft sie eine Basis, um sich anschließend mit feiner Beobachtungsgabe dem besonderen Quellenmaterial zuzuwenden.
Bemerkenswert ist, dass Tischbein erst im Alter von 60 Jahren begann, konkret zwischen 1811 und 1824, seine Eindrücke und Erinnerungen von der Niederlande-Reise zu dokumentieren. Diese herausragende Gedächtnisleistung Tischbeins stellt die Autorin heraus und verliert neben dieser faszinierenden Fähigkeit des Malers auch nicht die Frage
nach der Authentizität bzw. Verlässlichkeit dieser Erinnerungsdokumentationen aus dem Blick. So verknüpft die Kunsthistorikerin Tischbeins exzellente Beobachtungsgabe mit kulturwissenschaftlichen Gedächtnis- und Erinnerungskonzepten, wie z.B. mit den Gedanken zum „kollektiven Gedächtnis“von Maurice Halbwachs. Auf dessen Theorie aufbauend bezieht die Autorin auch die konsekutiven Überlegungen von Jan und Aleida Assmann ein und eröffnet damit assoziationsreiche, interdisziplinäre Pfade.
Die Autorin setzt sich eingehend mit Tischbeins persönlicher Aneignung, Entwicklung und Weitergabe von Bildwissen über niederländische Künstler auseinander und zeigt, wie prägend und überaus lehrreich die Reise für Tischbein diesbezüglich war.
Das Herzstück der Publikation behandelt die Netzwerke, über die sich im späten 18. Jahrhundert das Wissen über die niederländische Kunst und dessen Exklusivität in Deutschland verbreiten konnte. Dabei gelingt es der Autorin die ausschlaggebende Position von Sammlern, Kennern und Agenten sowie deren weitreichenden Einflüssen herauszustellen. Speziell beleuchtet sie hier Tischbeins Schilderungen bei dem Sammler Goll sowie seine Beobachtungen über die Facetten des niederländischen Kunstmarktes. Anschaulich gestaltet die Autorin ihre Ausführungen stellenweise mit Abbildungen von Gemälden und gibt immer wieder detaillierte Einblicke in die relevanten transkribierten Textstellen.
Die Kunsthistorikerin befasst sich außerdem mit Tischbeins Anerkennung und Sympathie für die niederländische Malerei. In diesem Kontext kristallisiert Stefanie Rehm die Charakteristika der Kunst des Goldenen Zeitalters aus Tischbeins Perspektive heraus. Die Krönung seiner Aus