Bayerische Doppelrolle
Der Kandidaten-Streit zeigt strukturelle Probleme zwischen CDU und CSU
Als CSU-Vorsitzender ist und bleibt Söder den regionalen Interessen Bayerns verpflichtet. Das aber ist mit einer gesamtstaatlichen Aufgabe nur schwer vereinbar.
Die CSU hat es 2017 nur knapp über fünf Prozent im Bundestag gebracht. Und in der Unionsfamilie stellen die CSU-Mitglieder nur ein Viertel der Mitglieder. Kaum mehr als der Landesverband NRW der CDU. Trotzdem beansprucht die Bayern-Partei jetzt „gleichberechtigt“die Kanzlerkandidatur.
Die Union aus CDU und CSU ist ein historisch gewachsenes Konstrukt mit einer strukturellen Schieflage. Kein anderer Landesvorsitzender der CDU könnte es wagen, dem eigenen Parteichef Armin Laschet die Kanzlerkandidatur streitig zu machen. Markus Söder kann es, als Chef einer angeblich „eigenständigen“Schwesterpartei. Und natürlich sitzt man in den „Elefantenrunden“im Fernsehen nach Wahlen auch nur, weil man sich als bundesweite Kraft ausgibt.
Ist es andersherum besser, tritt man jedoch gern mit der CDU als Einheit auf. 2005 etwa konnte Norbert Lammert (CDU) nur deshalb Bundestagspräsident werden, weil CDU und CSU zusammen etwas stärker waren als die eigentlich stärkste Fraktion, die SPD.
Die CSU ist Regional- und Bundespartei gleichzeitig. Die Zwitterrolle gibt ihr die Möglichkeit, sich jeweils den gerade vorteilhafteren Hut aufzusetzen.
Wenn sich in Berlin die Vertreter der Großen Koalition treffen, sitzt sie als dritte Kraft gleichberechtigt mit am Tisch. Die SPD muss nicht nur Kompromisse mit der CDU finden, sondern auch noch mit den Christsozialen. Die nutzen die Rolle, um etwas für Bayern herauszuschlagen. Koalitionskompromisse oder Gesetzentwürfe der gemeinsamen Bundestagsfraktion tragen oft Münchener Handschrift. Mal wurden die Belange der dortigen Bauern besonders berücksichtigt, mal gab es die von der
CSU-geforderte AusländerMaut, und fast immer fließt besonders viel Geld für Verkehrswege in den Süden. Zuletzt scheiterte eine Wahlrechtsreform, die den Bundestag verkleinern sollte, an der CSU.
Das Modell der zwei Hüte stößt immer dann an seine Grenzen, wenn die CSU es überzieht. 1976 wollte FranzJosef Strauß den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl wegmobben und beschloss, die Fraktionsgemeinschaft aufzukündigen. Die CSU solle bundesweit antreten, um rechte Wähler einzufangen, so Strauß‘ Idee. Kohls Gegenaktion, die Androhung einer Ausdehnung der CDU nach Bayern, ließ den Bayern zurückzucken. Denn das hätte den Verlust der absoluten CSU-Mehrheit im Freistaat bedeutet.
In der Flüchtlingskrise stritten CSU und CDU heftig über eine Höchstgrenze, weswegen sie sich 2017 zunächst nicht einmal auf ein gemeinsames Wahlprogramm einigen konnten. 2018 flammte der Streit in der legendären Konfrontation zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer um Grenzkontrollen wieder auf.
Jetzt eskaliert der nächste Konflikt, und schon reden die ersten Christdemokraten wie der stellvertretende Vorsitzende des CDUArbeitnehmerflügels Dennis Radtke erneut von einer Bayern-Ausdehnung der CDU. Andere fordern ein gemeinsames Gremium, um über Streitfragen wie die Kanzlerkandidatur oder Wahlprogramme künftig demokratisch zu entscheiden – auf einer Art gemeinsamem Parteitag. Die Fraktionsgemeinschaft im Bundestag repräsentiert beide Seiten nämlich nur nach ihrer Wahlstärke, nicht aber die Mitgliederbasis.
Würde Markus Söder nicht nur Kandidat, sondern auch Kanzler, stellte sich das nächste Problem. Denn als CSU-Vorsitzender ist und bleibt Söder den regionalen Interessen Bayerns verpflichtet. Das aber ist mit einer gesamtstaatlichen Aufgabe nur schwer vereinbar. Schon im Wahlkampf würde Söder außerhalb des Freistaates das Misstrauen begegnen, nur seine Region bevorzugen zu wollen. Wie er das lösen will, hat er bisher nicht beantwortet. Und wie das künftige Verhältnis zwischen den beiden Schwestern aussehen soll, wenn ein CSU-Mann bundesweit die Richtlinienkompetenz hat, auch nicht.