Er hat den Blick für alte Kunst aus Abfallholz
Manfred Grünjes ist fasziniert von Kerbschichtarbeiten – Sie weisen Spuren der Vergangenheit auf
Oldenburg – Eigentlich sammelt er Lebensgeschichten. Denn wenn Manfred Grünjes erklärt, was er an den Kisten und Kästchen, an den Bilderrahmen und Schränkchen aus Abfallholz so interessant findet, dann ist deren besondere Herstellungsweise nur das eine. Das andere sind die Spuren von Schicksalen, die viele der Sammelstücke aufweisen. Als „Kunst der armen Leute“bezeichnet der 82-Jährige diese Werkstücke. Mehr als 200 hat er schon.
Es handelt sich um sogenannte Kerbschichtarbeiten. Dünne Brettchen, an deren Kanten mit einem Messer Kerben geschnitzt wurden, um sie dann zum Beispiel zu Nähkästen und Kleinmöbeln zusammenzufügen. In den USA kennt man das als „Tramp Art“, die Kunst der Wanderarbeiter. Sein Wissen darüber hat sich Grünjes selbst angeeignet.
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Beginn einer Liebe
Während eines DänemarkUrlaubs ist die Liebe des Oldenburgers zu diesen Holzarbeiten entbrannt. In einem Museum in Esbjerg konnte er die Augen nicht von einem Exponat lassen. „Ein Bilderrahmen war’s“, weiß er noch. Als er kurz darauf auf einem Flohmarkt in Oldenburg ein Kästchen von gleicher Machart entdeckte, war sein Interesse geweckt. „Ich fand es einfach nur schön. Und ich dachte: Wenn man sowas sogar in einem Museum findet, dann muss das ja schon was sein.“Etwa 30 Jahre ist das her.
Seitdem sammelt der ehemalige Steuerberater diese Kerbschichtarbeiten. Ein großer Teil findet sich an den
Manfred Grünjes sammelt sogenannte Kerbschichtarbeiten. Die Kästen und Rahmen wurden aus Altholz, oft aus Zigarrenkisten, hergestellt.
Wänden eines Anbaus am Eigenheim in Bürgerfelde. Im Haus selbst sind ganz besondere Stücke zu entdecken. Ein Bilderrahmen von 1858 beispielsweise – das Exponat mit dem ältesten Datum in seinem Besitz. Und sogar draußen vor der Haustür hängt ein Spiegel im Kerbschichtrahmen.
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Alles Leichtgewichte
Einen Schatz oder Liebesbriefe hat Manfred Grünjes noch nie in einem seiner Kästen entdeckt. „Nur Krimskrams“, sagt er. Die meisten stammen von Oldenburger Flohmärkten. Einige zeigen Hinweise auf den Hersteller oder für wen das Kunstwerk gedacht war. „Gruß aus Metz“erkennt man an einem Kästchen und drinnen steht: „Aus Liebe“. „Bestimmt von einem Soldaten angefertigt“,
vermutet der Sammler. An einigen dienen Uniformknöpfe als Verzierung. Andere Schatullen haben Zierbeschläge wie Tatzen oder Löwenköpfe mit Maulringen. Auf der Rückseite eines Bilderrahmens zeigt ein Brandstempel, um welches Material es sich handelt: das Holz einer Zigarrenkiste. Und deshalb sind schwer wirkende Werkstücke doch Leichtgewichte – sogar das höchste aus 18 Schichten Holz. „Es wurden aber auch Obst- und Gemüse- und Margarinekisten verwendet – eben Abfallholz“, weiß der Sammler.
Die auf den Arbeiten angebrachte Datierung, geschnitzt, genagelt oder abgeleitet aus Urkunden lassen vermuten, dass die Gegenstände überwiegend in der Zeit von 1850 bis 1930 hergestellt wurden. „In dieser langen Epoche haben sich in weit auseinanderliegenden
Regionen, Europa einerseits und Nordamerika andererseits, Menschen mit der vollkommen identischen Gestaltung von Dingen des täglichen Bedarfs beschäftigt“, sagt Grünjes. Ursprünglich seien diese Arbeiten mit großer Sicherheit in Europa, hier insbesondere in Deutschland und Skandinavien hergestellt, und durch Auswanderer nach Nordamerika gebracht worden. „In Deutschland wurden diese Schnitzarbeiten vermutlich von einigen Berufsgruppen besonders gepflegt“, erzählt der Sammler: „Von Seeleuten und Schiffern sowie von Soldaten und Kriegsgefangenen.“
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Mit Stäbchen
Über den Geldwert seiner Sammelstücke schweigt der 82-Jährige. Die Worte sprudeln
Eine kleine Auswahl: Mehr als 200 Kästen aus Kerbschichtholz hat Manfred Grünjes bereits gesammelt.
Bei der Dornenkronen-Schnitzerei werden Holzstäbchen gitterförmig ineinander gesteckt.
aber, wenn es um die nähere Betrachtung geht. In einem besonderen Rahmen steckt das Bild einer Schifferfamilie. „Eine Dornenkronen-Schnitzerei. Sie kommt garantiert aus Schweden“, sagt Grünjes. Bei dieser Arbeit werden nicht Leisten geschichtet, sondern Holzstäbchen unterschiedlicher Länge ineinander gehakt und gitterförmig verbunden. „Irgendwo ist das eine Stäbchen, das das alles zusammenfallen
lässt, wenn man es rauszieht.“
Das käme dem Sammler selbstverständlich nie in den Sinn. Der grübelt darüber nach, was mal mit seiner Sammlung passieren könnte. „In der Familie kann ich sie wahrscheinlich nicht erhalten.“Vielleicht interessiere sich ein Museum? Dort sei ja auch einst seine Liebe zur Kunst der armen Leute entstanden.