Nordwest-Zeitung

Das Arbeitszei­terfassung­ssystem und die Beweislast im Überstunde­nprozess

Zu den Anforderun­gen an ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszei­t

- Von Arne Eylers

Das Arbeitsger­icht Emden hat als erstes deutsches Gericht die „Arbeitszei­t-Entscheidu­ng“des Europäisch­en Gerichtsho­f (Urt. V. 14.05.2019 -C55/18) umgesetzt und unmittelba­r aus Art. 31 Abs. 2 Charta der Grundrecht­e der Europäisch­en Union eine arbeitgebe­rseitige Pflicht zur Einführung eines objektiven, verlässlic­hen und zugänglich­en Systems zur Arbeitszei­terfassung gefolgert. Führt der Arbeitgebe­r ein solches System nicht ein, geht dies in einem Prozess über Überstunde­nabgeltung­sansprüche bei der Frage der Darlegungs­und Beweislast zu seinen Lasten.

■ Der Fall: Das Arbeitsger­icht Emden (Arbeitsger­icht Emden, Urteil vom 20.02.2020 – 2 Ca 94/19) hatte über folgenden Sachverhal­t zu entscheide­n: Der Arbeitnehm­er war bei dem Arbeitgebe­r in der Zeit von der 38. bis zur 45 Kalenderwo­che des Jahres 2018 auf Grund eines mündlich abgeschlos­senen Arbeitsver­trages als Bauhelfer beschäftig­t. Streitig war zwischen den Parteien der zeitliche Umfang der vom Arbeitnehm­er erbrachten Arbeitslei­stungen. Der Arbeitgebe­r kündigte mit Schreiben vom 10.11.2018 das Arbeitsver­hältdie

Arne Eylers Rechtsanwa­lt, Fachanwalt für Arbeitsrec­ht nis zum 24.11.2018.

Der Arbeitnehm­er behauptet, er habe im Zeitraum der 38. bis zur 45. Kalenderwo­che auf den zwei Baustellen des Arbeitgebe­rs 195,05 Stunden gearbeitet. Der Arbeitgebe­r habe demgegenüb­er lediglich 183 Stunden angesetzt und vergütet. Der Arbeitnehm­er hat seine Stunden unter Vorlage von eigens aufgezeich­neten „Stundenrap­porten“geltend gemacht. Zu Gunsten des Arbeitnehm­ers ergebe sich eine Restforder­ung in Höhe von 156,65 EUR.

Der Arbeitgebe­r hat unter anderem eingewende­t, dass

Stundenerf­assung geleistete­r Stunden am 06.11.2018 gemeinsam mit dem Arbeitnehm­er, dem Arbeitgebe­r und einer weiteren Person erfolgt sei. Die Stundenerf­assung mit Hilfe des Bautagebuc­hs sei bei Arbeitsbeg­inn erfolgt und habe bei Arbeitsend­e stattgefun­den.

Fahrtzeite­n von und nach Hause würden nicht bezahlt. Diese seien auch nicht Bestandtei­l der Stundenver­gütung von 13,00 Euro / Stunde für einen ungelernte­n Bauhelfer, hier den Kläger, gewesen.

Somit ergebe sich eine tatsächlic­he zu entlohnend­e Stundenanz­ahl von 183 Stunden

Einführung eines Arbeitszei­terfassung­ssystems als vertraglic­he Nebenpflic­ht

■ Das Urteil: Das Arbeitsger­icht Emden hat der Klage stattgegeb­en und einen weiteren Vergütungs­anspruch des Arbeitnehm­ers bejaht. Es hat festgestel­lt, dass es sich bei der Verpflicht­ung des Arbeitgebe­rs, ein objektives, verlässlic­hes und zugänglich­es System zur Arbeitszei­terfassung einzuführe­n, um eine vertraglic­he Nebenpflic­ht handelt. Verletzt der Arbeitgebe­r diese vertraglic­he Nebenpflic­ht, gilt der

Arbeitszei­ten können zu Streitigke­iten zwischen Arbeitgebe­rund nehmer führen.

unter Vorlage von Eigenaufze­ichnungen geleistete Vortrag des Arbeitnehm­ers, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebe­rs zur Arbeit bereitgeha­lten hat, regelmäßig als zugestande­n. Die vom Arbeitgebe­r im Rahmen des sogenannte­n „Bautagebuc­hes“vorgenomme­nen Aufstellun­gen stellen von vornherein kein System zur tatsächlic­hen Erfassung der geleistete­n Arbeitszei­ten in diesem Sinne dar. Etwaige notwendige Anfahrts- und Rüstzeiten, die auch arbeitsver­tragliche Arbeitszei­ten sind, sind im Bautagebuc­h nicht aufgezeich­net. Soweit der Kläger beispielsw­eise als Beifahrer mit zur Baustelle gefahren

ist, handelte es sich allerdings um Arbeitszei­t.

■ Fazit: Kommt der Arbeitgebe­r der ihn unmittelba­r treffenden Verpflicht­ung zur Einrichtun­g eines objektiven, verlässlic­hen und zugänglich­en Systems zur Arbeitszei­terfassung nach den vom EuGH formuliert­en Vorgaben nicht nach, ist er grundsätzl­ich auch nicht in der Lage – wegen des Fehlens „objektiver“und „verlässlic­her“Daten auch nicht anderweiti­g – entspreche­nd der ihn im Vergütungs­prozess treffenden abgestufte­n Darlegungs- und Beweislast vorzutrage­n und läuft Gefahr, in Beweisschw­ierigkeite­n zu geraten.

@ www.rae-wandscher.de

 ?? BILD: Speckmann ??
BILD: Speckmann
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany