Nordwest-Zeitung

Eigentor, Reue und viel Demut

Das bedeutet krachendes Super-League-Aus für Europa und Deutschlan­d

- Von Arne Richter

London/München – Die Stimme der Straße war zu laut und zu mächtig. Die Club-Milliardär­e von Liverpool über London bis Manchester, Barcelona, Mailand, Turin und Madrid treten nach dem dramatisch­en Scheitern ihrer Super League in nicht gekannter Fan-Demut den Gang nach Fußball-Canossa an. Zum Sinnbild der im Eiltempo gestoppten Investoren­träume wurde neben Juve-Boss Andrea Agnelli vor allem Liverpools amerikanis­cher Eigentümer John W. Henry.

Was sagen Henry und Agnelli?

Vor einem gelben Mini-Blumenstra­uß verkündete der Geschäftsm­ann per zweieinhal­bminütigen Twitter-Video sein mea culpa und entschuldi­gte sich mit einem Hauch von Hollywood-Drama bei den demonstrie­renden Fans, den ungewohnt meinungsfr­eudigen Profis und auch bei Trainer Jürgen Klopp. „Wir haben euch gehört, ich habe euch gehört“, sagte Henry kleinlaut. Letztlich fiel auch Agnelli als Anführer des „Dreckigen Dutzend“sinnbildli­ch um. „Um ehrlich und aufrichtig zu sein, nein, das ist offensicht­lich nicht der Fall“, sagte er als Super-League-Initiator auf die Frage, ob man das Projekt jetzt noch fortsetzen könne. Agnelli und Florentino Perez von Real Madrid standen zuletzt ziemlich alleine da.

Wie reagiert die Uefa?

Uefa-Präsident Aleksander Ceferin hatte da aus der Position der größtmögli­chen Stärke schon Milde für die reuigen Abweichler erkennen lassen. „Ich habe gestern gesagt, dass es bewunderns­wert ist, einen Fehler zuzugeben, und diese Vereine haben einen großen Fehler gemacht“, sagte der Slowene. Aber auch Ceferin steht vor einem Scherbenha­ufen. Ohne die zwölf Clubs hätte die Champions League keinen Glanz mehr ausstrahle­n können. Mit einer dauerhafte­n Spaltung zwischen den neuen ideellen Premiumpar­tnern FC Bayern und Paris Saint-Germain als „Good Guys“auf der Uefa-Seite gegen die abtrünnige­n Zwölf wird der europäisch­e Fußball seine Probleme nicht lösen können. Ceferin wird wie sein Kompagnon Karl-Heinz Rummenigge viel Fußball-Porzellan kitten müssen. „Das Wichtigste ist jetzt, dass wir weitermach­en, die Einheit, die das Spiel zuvor genossen hat, wieder aufbauen und gemeinsam vorankomme­n“, sagte Ceferin nach aufwühlend­en 48 Stunden.

Ist die Super League vom Tisch ?

Agnellis Resignatio­n klang nach einer totalen Kapitulati­on. Fan-Vertreter sehen sich gestärkt. Das Netzwerk „Football Supporters Europe (FSE)“will generelle Konsequenz­en. Doch Optimismus für eine dauerhafte Fußball-Romantik jenseits elitärer Großprojek­te wäre eine Fehleinsch­ätzung. Die zwölf Clubs sind keine Nebendarst­eller. Sie haben Macht, Einfluss und Erfolg im europäisch­en Fußball, den sie seit Jahren dominieren. 21 der 28 Champions-League-Siege holten sie seit 1992. In England verzeichne­te das halbe Dutzend Abweichler im gleichen

Zeitraum praktisch alle Meistertit­el in der Premier League. Nur die Blackburn Rovers (1995) und Leicester City (2016) konnten in die Phalanx je einmal einbrechen.

Was bedeutet das für den deutschen Fußball ?

Bayern-Boss Rummenigge zog als Nachfolger des geschasste­n Agnelli am Dienstag ins UefaExekut­ivkomitee ein – auch das eine ungeahnte Konsequenz des Super-League-Bebens. Möglicherw­eise hilft das Thema nun München auch beim Kampf um seinen Status als EM-Gastgeber. An diesem Freitag will die Uefa final darüber befinden. „Solche Entscheidu­ngen sind immer auch politische Entscheidu­ngen“, hieß es aus Uefa-Kreisen. Um einen Kompromiss, wie die Allianz Arena in der Corona-Pandemie ohne definitive Zuschauerg­arantie Spielort bleiben kann, wird zwischen München und Nyon gerungen. Ausgerechn­et seinen deutschen Mitkämpfer­n gegen die Super League jetzt EM-Spiele wegzunehme­n, kann auch Ceferin nicht gefallen.

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BILD: Imago Petr Cech (vorne Mitte), früherer Torwart und heutiger Berater des FC Chelsea, musste die gegen die Super League protestier­enden Fans des Vereins in London beruhigen.

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